Zur Sendung „Religion Aktuell“ (23. Jänner 2024) mit dem Thema „Israel kritisieren ohne Antisemitismus“

Sehr geehrte Damen und Herren,

in der Sendung „Religion Aktuell“ vom 23. Jänner 2024 bringen Sie einen Bericht zu dem Thema „Israel kritisieren ohne Antisemitismus“, wo unter anderem die Gruppe „Not in Our Name“ und deren Engagement für Menschlichkeit und in der Kritik Israels vorgestellt wird. Das ist ein sehr löbliches Unterfangen und von großer Wichtigkeit, solche Stimmen hörbar zu machen.

Zum Ausklang des Themas lassen Sie allerdings den Judaisten Gerhard Langer folgendes Abschlussstatement abgeben: „Wenn der Staat Israel als Staat in Frage gestellt wird, wenn grundsätzlich alle Juden und Jüdinnen auf der Welt mit Israel kollektiv in Verbindung gebracht werden, das ist antisemitisch.“ Es gibt keinen Wert einer solchen ideologischen Aussage für Ihren journalistischen Beitrag, insbesondere da Langer am Schluss noch einmal indirekt zu Wort kommt zu „Israel als Bollwerk des Westens und seiner Werte“. Dennoch erkenne ich aus zahlreichen vorangegangenen Beiträgen ein Muster, dass solche Schlussstatements für Beiträge mit kritischen Stimmen zum Thema Palästina tatsächlich seitens des ORF gewollt sind.

Es erschließt sich unmittelbar, dass eine Identifizierung jüdischer Menschen als vermeintliche kollektive Entität mit dem Staat Israel als antisemitisch qualifiziert werden kann. Doch was hat es mit dem ersten Teil der Aussage auf sich? Langer bezeichnet hier die Infragestellung „des Staates Israels als Staat“ als antisemitisch. 

1. Ein Staat ist von Menschen geschaffen. Ein Staat kann in seiner selbstgegebenen Staatlichkeit grundsätzlich immer in Frage gestellt werden. Es wäre für die Demokratie auf der Welt sehr bedenklich, wenn manche Staaten aufgrund ihres Selbstverständnisses grundsätzlich nicht in Frage gestellt werden dürften. Ich nenne hier als Beispiel den Staat Südafrika (mit seinen Apartheidstrukturen vor 1994). 

2. Das kann nur bedeuten, dass der Aussage Langers ein Verständnis zugrunde liegt, dass der Staat Israel ein (exklusiv) „jüdischer Staat“ ist, also der staatliche Ausdruck eines kollektiven Staatsvolkes, das jüdisch ist, der Staat „des jüdischen Volkes“. Es kann mit derselben Berechtigung gefragt werden, nach welchen Kriterien ein Mensch Angehörige*r des „jüdischen Volkes“ ist – die israelische Staatsbürgerschaft kann das nicht sein. Als logische Schlussfolgerung aus der Aussage Langers kann nur gezogen werden, dass der Staat Israel als Staat nicht in Frage gestellt werden kann (ohne antisemitisch zu sein), weil er sich selbst „grundsätzlich [mit] alle[n] Juden und Jüdinnen auf der Welt […] kollektiv in Verbindung“ bringt. 

Das Statement von Langer ist also eine Paradoxie, dessen erster Teil nach dem zweiten Teil als „antisemitisch“ zu qualifizieren wäre. Die Absurdität dessen ist offensichtlich, aber auch die Gefährlichkeit der Aussage, wenn es um so ein ernstes Thema wie Antisemitismus geht und den Schutz jüdischer Menschen davor. Es handelt sich nur bestenfalls um eine illegitime Definition des Antisemitismus und schlimmstenfalls um dessen Verharmlosung und die Festschreibung von Beliebigkeit in der Anwendung des Begriffes (da die Infragestellung des Staates Israel dadurch gleichgesetzt wird mit Brandanschlägen auf Synagogen – gleichermaßen antisemitisch nach Langer). 

Denn selbstverständlich kann der Staat Israel (wie jeder andere Staat) als Staat in Frage gestellt werden, ohne dass das antisemitisch ist.

Dem ORF gegenüber ersuche ich deshalb – trotz vielmaliger entgegenstehender Erfahrungen –, Sendungsinhalte zu solchen sensiblen Themen kritisch auf ihren Gehalt und staatlich-politische Agenden zu prüfen, denn die Aussagen Langers weisen zum Beispiel das staatliche Interesse Israels darin überdeutlich aus, entgegen der inhaltsleeren Schutzbehauptung von der „erlaubten Kritik an der konkreten Politik Israels“. Den Ideologemen und Narrativen der nationalistischen Ideologie des Zionismus darf nicht auf selbstverständliche Weise ein Raum als Schlussstatement eines Beitrags gegeben werden, der kritische jüdische Stimmen zum Thema hat.

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

Mag. Martin Weinberger