Palästina Solidarität Österreich zu den Ereignissen um die Grazer Synagoge

Am 23.8.2020 wurde ein nach Österreich geflüchteter syrischer Staatsbürger in Graz festgenommen. Er ist verdächtig, an der Grazer Synagoge die Parole „Unser Land und unsere Sprache sind rote Linien“ angebracht und mit Steinen beworfen zu haben. Auch habe er den Präsidenten der jüdischen Gemeinde, Elie Rosen, mit einem Sesselbein attackiert und auf dessen Auto eingeschlagen. Diverse andere Delikte, u.a. die Zerstörung eines Lokals der Rosa-Lila PantherInnen, werden ihm zur Last gelegt. In den Medien heißt es, der Syrer habe die Taten bereits gestanden.

Anschließend an diese Delikte einer einzelnen Person ging ein gewaltiger Aufschrei durch das Land. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen und eine breite Parteien-Koalition artikulierte sich lautstark gegen Antisemitismus. Auch die Steirische Friedensplattform, die mehrmals von Elie Rosen wegen ihrer palästinasolidarischen Aktivitäten als antisemitisch diffamiert wurde, gab eine Erklärung heraus, in der sie diese und alle Formen von Attacken auf Glaubenseinrichtungen und Minderheiten scharf zurückwies.

In all den Erklärungen gegen Antisemitismus fehlte aber die tiefere Erforschung möglicher Motive, Hintergründe und Umstände, die diesen Migranten dazu brachten, derartige Taten zu begehen. Niemand hinterfragte die Lebenssituationen der Flüchtlinge in Österreich, niemand konnte oder wollte die Lage der PalästinenserInnen und Behandlung der palästinensischen Frage durch den österreichischen Staat beleuchten. Stattdessen wurde reflexartig ein „israelbezogener Antisemitismus“ vorgebracht. Das von den Medien präsentierte Bild des terrorassoziierten Islamisten verhinderte jede andere Form des Nachdenkens, zu stark das Feindbild, zu heftig die Abneigung.

Wir betonen: Angriffe aus Motiven des Antisemitismus, der Homophobie, der Feindlichkeit gegenüber Glaubensgemeinschaften und Minderheiten, sind zu verurteilen.

Will man solche Taten in Zukunft verhindern, wird man mit Antisemitismusschulungen alleine nicht weit kommen.Vielmehr gilt es, sich die Lebensbedingungen der rund um 2015 ins Land Geflüchteten zu vergegenwärtigen.Viele konnten keine Arbeit finden oder zumindest keine, die ihren mitgebrachten Qualifikationen entsprach, und wenn, dann zu Mindestlöhnen. Das Lernen unter Druck wird zur Qual, wenn bei nicht zeitgerechter Absolvierung von Deutschkursen die Kürzung des staatlichen Geldes bis auf das Existenzminimum droht.

Verpflichtende Integrations- und Werteprüfungen unterstellen durch ihre Fragestellungen ZuwanderInnen stereotype Haltungen und bilden ein undifferenziertes ideales Österreich-Bild ab. Nicht Diskurse und Motivation, sondern die korrekte Wiedergabe des Vorgegebenen stehen im Vordergrund. Wer das Tempo nicht schafft, läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Islamfeindlichkeit und Diskriminierung auf Grund ihrer Herkunft und Hautfarbe strukturell und im Alltag sind da nur noch eine Draufgabe, um sich im Gefühl von Verlorenheit und Exklusion in Österreich wiederzufinden.

Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Graz Elie Rosen wurde Opfer eines tätlichen Angriffs, was nicht geschehen darf.

Wiederholt betonte er, dass „israelorientierter Antisemitismus“, wie ihn die BDS-Bewegung fördere, der in Graz vorherrschende Antisemitismus sei. BDS setzt sich gewaltfrei für die legitimen Rechte der PalästinenserInnen ein. Auch zahlreiche jüdische Menschen weisen den Antisemitismus-Vorwurf gegen BDS zurück und warnen vor einem inflationären Gebrauch des Antisemitismus-Begriffs. Tatsächlich wird damit die berechtigte und notwendige Kritik an der brutalen israelischen Besatzungspolitik in den Hintergrund gedrängt.

Viele Menschen österreichischer Staatsbürgerschaft, die für die Rechte der PalästinenserInnen sind, schrecken vor klarer Artikulation ihrer Solidarität zurück, aus Angst, antisemitisch gebrandmarkt zu werden. Wie geht es erst den AraberInnen, den MigrantInnen? Sie müssen bei jeder solidarischen Demonstration potentiell die Gefährdung ihres Aufenthaltstitels befürchten. Denn da wird von den Behörden gefilmt, was das Zeug hält.

Es gibt also kein Ventil, keine Möglichkeit für diese Menschen, ihre Meinung kundzutun, ihren Unmut und auch Zorn zu artikulieren. Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht, seine Nichtgewährung erschüttert den Menschen in seinem Innersten, greift sein Existenzrecht und seine Würde an. In diesem Sinne hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Juni 2020 erklärt, dass BDS durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

PalästinenserInnen werden in Gaza in die Hungersnot getrieben, sind in der Westbank den gewalttätigen Siedlern und dem aggressiven Militär ausgesetzt, werden in Jerusalem drangsaliert, damit sie auswandern und sind in Israel absolut minderberechtigt im Vergleich zu jüdischen StaatsbürgerInnen. Angesichts der völlig einseitigen Medienberichterstattung zu Gunsten Israels ist es nötig, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, die sich mit den demokratischen Mitteln der Meinungs- und Versammlungsfreiheit artikuliert. Diese Grundrechte haben für alle Menschen gleichermaßen zu gelten.

Ist das nicht erlaubt oder mit Sanktionen verbunden, baut sich Groll auf. Die österreichische Regierung arbeitet wirtschaftlich, politisch und militärisch eng mit der israelischen Netanjahu-Regierung zusammen. Die gewährten Hilfsgelder für Flüchtlingslager sind dazu gut, den traurigen und beschämenden Status quo der leidenden Menschen zu zementieren, denn politisch marschiert die Regierung im Gleichklang mit der menschen- und völkerrechtswidrigen israelischen Politik.

Kaum PolitikerInnen und auch NGO-VertreterInnen, die gegen die Angriffe auf die Synagoge protestiert haben, sind auf Demonstrationen für die Rechte der PalästinenserInnen anwesend. Solidarisierung und antifaschistisches Engagement der großen Mehrheit von ÖsterreicherInnen enden sprichwörtlich am israelischen Sperrwall. Die Einsicht, dass Verantwortungsübernahme für den Holocaust gegenüber JüdInnen auch bedeutet, Verantwortung für den Siedlerkolonialismus gegenüber den PalästinenserInnen zu übernehmen und in Folge für gerechten Frieden einzutreten, wird verdrängt. Die unbedingt nötige klare Differenzierung zwischen dem Judentum als Religion und dem politisch rechten Zionismus, der einen apartheidskopierten jüdischen Nationalstaat vorsieht, findet nicht statt.

Antisemitismusdiffamierung und Druck auf die Palästinasolidarität bis hin zu ihrer Verdrängung aus öffentlichen Räumen, wie es der Grazer Stadtratsbeschluß vom 14. November 2019 vorschreibt, verbunden mit dem Assimilationsdruck eines gegenüber Geflüchteten autoritär agierenden Staates und eines täglich erlebten strukturellen Rassismus ist ein unheilvolles Gemisch, das den Boden der Demokratie untergräbt.

Statt struktureller menschenrechts- und zivilgesellschaftsorientierter Maßnahmen hat die Regierung nach den Angriffen in Graz erst recht tief ins Repressalienkabinett gegriffen:

  • Pauschalverdächtigungen gegenüber Geflüchteten aus muslimisch/arabischen Ländern

  • Vertiefung der staatlichen Kollaboration mit dem israelischen Kolonialregime

  • Extreme Überwachung der palästinasolidarischen Bewegung und insbesondere der ZuwanderInnen unter ihr

  • Drohung mit Verlust bzw. Nicht-Gewährung einer Aufenthaltsberechtigung bei nicht staatskonformer Meinungsäußerung zum Palästina/Israelkonflikt

  • Zwangsverpflichtungen zu Wertekursen über Antisemitismus, die den Konflikt um Palästina ausklammern

Derartige Restriktionen nützen dem Antisemitismus und Rassismus der Rechten und der Mitte. Die Schuld für Antisemitismus wird pauschal auf MuslimInnen/AraberInnen/PalästinenserInnen und mit ihnen Solidarische abgewälzt, sodass rechte Ressentiments im Verborgenen gären und sich ihren Weg durch die Gesellschaft in Richtung Mehrheit fressen.

Eine Tat wie jene in Graz wird von vielen PolitikerInnen und weiten Teilen der Zivilgesellschaft benützt, um solche negativen Mechanismen voranzutreiben, anstatt sich damit zu beschäftigen, was die Hintergründe sein könnten, wo die gesellschaftliche Mitverantwortung dafür liegt und wie man Derartiges in Zukunft verhindern kann.

 

Es gilt kein „Wehret den Anfängen“ mehr.

Die Anfänge liegen hinter uns.

 

Palästina Solidarität Österreich

September 2020