Rede des Benediktinermönchs Karl Helmreich auf der Demo gegen Vertreibungen am 12.5. in Wien

Die Schreie der Unterdrückten und Machtlosen hören

Rede des Benediktinermönchs Karl Helmreich auf der Demo gegen Vertreibungen am 12.5. in Wien

Liebe Zuhörer, liebe Freundinnen und Freunde und besonders: liebe palästinensische Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Zum Hauptgrund der jetzigen schrecklichen Ereignisse - der geplanten Vertreibung palästinensischer Familien aus Ostjerusalem - kam noch hinzu der provozierende Umzug der Lehava Jugend, die aggressiven Übergriffe der IDS auf dem Tempelberg, der provozierende Umzug am Jerusalem Tag und das Toben gegen Gaza, als Antwort auf den Raketenbeschuss zuvor.

Unter den Betroffenen der Vertreibung, die wurden ja als Vertriebene dort vor mehr als 70 Jahren unter noch jordanischer Regierung damals - also vor Ausrufung des Staates Israel - von der Uno Hilfsorganisation dort angesiedelt, sind auch christliche Familien. Die Christen sind eine Minderheit von etwa 2 %, 2009 hat schon einen ökumenischer Zusammenschluss einen Hilfsappell "Kairos Palestina" an die weltweite Christengemeinschaft gerichtet und wieder Ende 2020 und verzweifelter noch zuletzt am 27.März dieses Jahres:

15 Großfamilien, das sind 37 Haushalte mit 195 Mitgliedern sollen aus der Nachbarschaft von Sheikh Jarrah und Silwan vertrieben werden, sie schreiben: "Täglich erleben wir Einschränkungen, Dehumanisierung, Brutalität und den Verlust von Leben, die auf die Apartheid-Gesetze und Politik zurückzuführen sind. Täglich leiden wir an den Beschimpfungen.

Sicherlich verstehen Sie unsere Enttäuschung - grenzend an Verzweiflung - dass die weltweite Kirche unsere vielen dringenden Rufe nach konkreten und praktischen Aktionen zur Beendigung der Okkupation nicht mehr voll unterstützt haben." unterschrieben von Michael Sabbah (r.k.), Bischof Munib Younan (evang.), Erzbischof Theodosius (orthodox) und 13 christl. Funktionären. Pax Christi International und PCÖ haben dagegen eine Protestnote gesandt.

Aber es geht nicht um die Minderheit der Christen, die schon vor der Gründung Israels im Lande lebten, es geht um alle Palästinenser, die jetzt nicht nur aus Ostjerusalem (dort insgesamt 30 Großfamilien) von Vertreibung bedroht sind, von Häuserabriss. Die unglaubliche Repression zu erleiden haben und dann noch als "Unruhestifter" bezeichnet werden.

Genauso erleiden Vertreibung die Beduinen, deren einfache Behausungen wiederholt zerstört werden, die unter konstruierten Vorwänden von den Weideflächen vertrieben werden. Ist das für uns vorstellbar, dass ein Caterpillar, geschützt von hochbewaffnetem Militär, kommt und alles über den Haufen schiebt, ihre einfachen Behausungen, ihren kargen Besitz zerstört, die Vorräte, die Unterstände für das Vieh?

Da steht dann eine Großfamilie mit ihren Kindern unter freiem Himmel – nicht wissend wohin und wo geschützt? Menschen die arm und sehr bescheiden leben, die das Bescheiden schon längst leben, das uns gut anstehen würde, damit es für alle Menschen reicht. Laufend geschieht das, es gibt absolut keinen Schutz.

Wie gehen die angerufenen Christengemeinschaften der Welt mit dem Hilferuf um? Bis vor der Pandemie reisten noch 2019 4,6 Millionen Touristen aus der ganzen Welt ins Hl. Land, weithin ohne Berührung mit der Situation der Palästinenser, was bringen sie an Erkenntnis mit, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren?

Und unsere Religionsführer? - auch unsere Bischöfe, machen Studienreisen, sind betroffen - aber schweigen über das, was sie gesehen, erfahren haben.

Und die Politik? Hört sie auf die Schreie der Unterdrückten, der Machtlosen? Die außenpolitischen Sprecher von fünf europäischen Staaten - Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und England - haben am 6.Mai Israels Regierung aufgefordert, den Beschluss des Baues von 540 Siedlungseinheiten im Gebiet Har Homa zurückzunehmen (Gebiet zwischen Ost-Jerusalem und Betlehem) – um die Bemühungen um eine Zweistaatenlösung und ein Ende des Konfliktes nicht zu stören. (Diese ständig wiederholte Lüge - als ob sie selbst noch an eine Zweistaatenlösung glaubten!) - und wie immer folgenlose Mahnungen!

Und Sie werden gemerkt haben, nicht einmal bei einer sanften Mahnung ist die österreichische Regierung dabei.

Aber der Verzweiflungsausbruch jetzt hat die Ursache darin, dass nie dem völkerrechtswidrigen Tun Israels Einhalt geboten wurde! Haben die israelischen Verantwortlichen je einen eigenständigen Staat Palästina gewollt? Wurde Israel nicht immer geschont? Israelkritik wird ganz offiziell als "israelbezogener Antisemitismus" gegeißelt und verfolgt! Eine hochgestellte katholische Theologin schreibt: "In von Migration geprägten Gesellschaften wird überdies sichtbar, dass Antisemitismus eine globale, vielgestaltige Realität ist, die sich dann z.B. im israelbezogenen Antisemitismus von Zuwanderern aus dem Nahen Osten zeigt." Frau Pollak, ich behaupte, hier stehen keine Zuwanderer aus dem Nahen Osten, sondern mehrfach vertriebene Menschen aus Palästina, zum Teil zuerst geflüchtet nach Syrien, dem Libanon… und nochmals geflüchtet von dort.

Hier steht wohl kein einziger Antisemit und kein Terrorist - Hasser von Juden, weil sie Juden sind, sondern Kritiker der völkerrechtswidrigen, ungerechten Apartheidpolitik Israels, des jetzt noch fortgesetzten Landraubes, des mörderischen Besatzungsregimes, der Politik Israels, wo Rechtsradikale immer bestimmender werden. Hier steht kein Hetzer - lesen Sie den Jahresbericht von ai über Israel und die besetzten Gebiete! Information lässt sich heute nirgendwo völlig unterdrücken, die modernen Medien lassen das nicht zu. Sehr wohl können unsere offiziellen Medien Tatsachen verschweigen, sie falsch darstellen.

Ausdrücklich bedanken möchte ich mich bei der Frau Korrespondentin Inge Günther für ihren Beitrag in der Wr. Zeitung vom 11.05. Der Aufschrei aus fortgesetzter Not heißt dann Terrorismus!

Zu dem, was jetzt eskalieren musste gibt es z.B. eine Dokumentation der Rosa Luxemburg Stiftung Israel: "Stadtplanung und Stadtentwicklung in Ostjerusalem. Unfassbar, was da seit 1967 bis heute völkerrechtswidrig, planmäßig an schwerem Unrecht geschehen ist.

Das, was ich mir so sehnlich wünsche, ist: dass sich auch jüdische MitbürgerInnen Österreichs öffentlich der berechtigten Kritik anschließen - in Deutschland gibt es sie!

Zuletzt: am 5.Mai wurde der 16-jährige Mohammad Odeh aus dem Dorf Odala bei Nablus im besetzten Westjordanland von israelischem Militär getötet - durch zwei Schüsse in den Rücken - von hinten - er hat sie nicht angegriffen! Wer kann nachvollziehen, was an Traumatisierung und Schmerz seiner Familie, seinem Freundeskreis, seiner Dorfgemeinschaft zugefügt wird? Ein so junger, vitaler, liebenswerter Mensch, eben erst aufblühend - muss sterben.

Meine Frage an die israelische Gesellschaft ist, wie wird die Entwicklung in ihrem Volk weitergehen? Werden sie nicht einmal erschrecken vor den Früchten ihrer hoch militarisierten, unterdrückerischen Politik? Was die aus ihrem Volk macht? Aus ihrer Jugend macht? Inzwischen drei Frauen und ein Kind auf israelischer Seite und 36 Palästinenser, darunter drei Frauen und 12 Kinder.

Heute um Vormittag habe ich aus Gaza von Abed Schokry folgendes Mail erhalten: Beides scheint mir nicht verantwortbar: der Raketenbeschuss und das noch mehr gesteigerte Übermaß der Gegenschläge.

Zur wichtigen Öffentlichkeitsarbeit, zum Protest hinzu, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, kann, soll, muss auch tatkräftige, unterstützende, solidarische Hilfe geleistet werden. Ich wünsche uns allen die Zähigkeit und Treue weiter zum gepeinigten palästinensischen Volk zu stehen!