Zur Problematik des Begriffs „Politischer Islam“

Von Wolfgang Palaver, Aus: Kritisches Christentum, Mai/Juni 2020

Im Regierungsprogramm 2020 – 2024 nimmt der Kampf gegen den „politischen Islam“ ähnlich wie im Programm der Vorgängerregierung eine prominente Stelle ein. Sechs Mal wird der Begriff – unter anderem im Zusammenhang mit der geplanten Errichtung einer Forschungs- und Dokumentationsstelle für den religiös motivierten politischen Extremismus – genannt.

Religion nur Privatsache?

Der Begriff „politischer Islam“ ist problematisch, weil er indirekt unterstellt, dass ein guter Islam ein unpolitischer sein müsse. Damit hängt eine allgemeine Tendenz in unserer Gesellschaft zusammen, Religion zu privatisieren und ihr zunehmend jeden öffentlichen Raum abzusprechen.

Natürlich gibt es gefährliche Formen politisch agierender Religionen. Wir brauchen dabei nur an Fehlformen des politischen Katholizismus denken. Grundsätzlich gilt aber, dass religiöse Menschen sich gerade aus ihrem Glauben heraus politisch engagieren, Religion daher nie völlig unpolitisch sein kann.

Wir verdanken diese Einsichten in der katholischen Theologie nicht zuletzt dem kürzlich verstorbenen Theologen Johann Baptist Metz. Mit der Erklärung über die Religionsfreiheit hat das Zweite Vatikanische Konzil sich zwar klar vom Gebrauch staatlicher Zwangsmittel für religiöse Zwecke distanziert, damit aber keine Privatisierung von Religion vertreten, sondern das politische und gesellschaftliche Engagement der Kirche vor allem dem Bereich der Zivilgesellschaft zugewiesen.

Im aktuellen Kampf gegen den politischen Islam zeigt sich die problematische Tendenz zur Privatisierung von Religion. So verteidigte die Politikwissenschaftlerin Nina Scholz, die zusammen mit Heiko Heinisch Bundeskanzler Sebastian Kurz in Sachen politischer Islam berät, in einem Artikel im „Standard“ das Regierungsprogramm und bemerkte, dass damit ja nicht „Religion als spirituelle und persönliche Angelegenheit“ beeinträchtigt sei. Religion aber ist nicht bloß Privatsache. Eine ähnliche Problematik zeigt sich auch im „Verfassungsschutzbericht 2018“ des Innenministeriums, in dem erstmals ausdrücklich auch ein Kapitel zum politischen Islam vorkommt. Darin wird islamischen Gruppen vorgeworfen, im Blick auf Bildung, soziale Fürsorge und „der Ausgestaltung des kulturellen Lebens für Muslime“ ein „umfassendes Gegenmodell zur bestehenden nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft in Österreich zu schaffen“, das „ein ‚Aufgehen‘ (Assimilation) von Muslimen in dieser Gesellschaft“ verhindere. Wird hier nicht indirekt ein Assimilationszwang für Muslime vertreten?

Verstärkung der Islamfeindlichkeit in Österreich?

Problematisch im Regierungsprogramm ist auch die Tatsache, dass der Islam fast nur negativ als „politischer Islam“ zur Sprache kommt. Dadurch besteht die Gefahr, dass die hohe negative Einstellung der österreichischen Bevölkerung gegenüber dem Islam noch verstärkt wird. Eine kürzlich vorgenommene Untersuchung belegt deutlich die negative Sicht des Islam: „80 Prozent der Österreicher wollen …, dass islamische Einrichtungen stärker beobachtet werden. 70 Prozent denken, dass der Islam nicht in die westliche Welt passt, und 60 Prozent fürchten, dass unter Muslimen Terroristen sind.“ Diese Zahlen belegen zwar, dass das Regierungsprogramm die Stimmung in der Bevölkerung gut wiedergibt, aber Aufgabe einer Regierung wäre es, solchen Vorurteilen entgegen zu wirken. Die Verstärkung der islamfeindlichen Haltung in der Bevölkerung bewirkt nämlich umgekehrt, dass sich als Reaktion auf die ablehnende Haltung fundamentalistische Strömungen in muslimischen Gruppen verstärken werden. Hier besteht ein gefährlicher Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt.

Was ist zu tun?

Zuerst gilt es, den Begriff des politischen Islam fallen zu lassen. Schon dessen Identifikation mit „Islamismus“, wie ihn beispielsweise Heiko Heinisch und Nina Scholz vertreten, muss zurückgewiesen werden, denn wer den Islamismus kritisieren will, soll ihn auch direkt so benennen. Übrigens stehen genügend klare Begriffe wie Fundamentalismus, Dschihadismus oder islamistischer Extremismus zur Verfügung, um Fehlentwicklungen im Islam zu benennen. Die ungenaue Anprangerung eines politischen Islam stellt leichtfertig eine ganze Religion unter Verdacht.

Zweitens darf beim Kampf gegen religiös motivierten politischen Extremismus nicht nur eine einzige Religion in den Blick genommen werden. Im österreichischen Rechtsstaat muss auf die Einhaltung der Verfassung und damit der Menschenrechte mit dem fundamentalen Recht auf Religionsfreiheit geachtet werden. Die Einhaltung dieser Rechte gilt es zu fördern und Übertretungen sind entsprechend zu ahnden. Dazu braucht es aber kein spezielles Vorgehen gegen eine Religion. Vermutlich ist hier schon der besondere Fokus auf Religion problematisch, weil es ja letztendlich um die Abwehr von Verfassungsfeinden gehen muss, egal ob religiös oder nichtreligiös motiviert.

 

Wolfgang Palaver, geb. 1958 in Zell/Ziller, ist Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck (seit 2002). Bis 2013 leitete er das Institut für Systematische Theologie. Von März 2013 bis Februar 2017 war Wolfgang Palaver auch Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.

 

Palaver ist seit März 2019 Präsident von Pax Christi Österreich (PCÖ).