Feldzug gegen die Bewegung

aus junge Welt, 18.12.2023, https://www.jungewelt.de/artikel/465427.repression-gegen-pal%C3%A4stina-...

Am Donnerstag rückten Polizeikräfte zum größten Hörsaal der Freien Universität Berlin (FU) an und entfernten Studierende, die den Raum in Solidarität mit den Palästinensern besetzt hatten. Schnell machten Berichte die Runde, nach denen jüdischen Studenten der Zugang zum Hörsaal verwehrt worden sei. Diese erwiesen sich schnell als Falschmeldungen, wie auch das Präsidium der FU in einer Pressemitteilung bestätigte. Die Diffamierung von Protest durch die Unterstellung von Antisemitismus ist inzwischen ein gut eingeübtes Ritual, das seit dem 7. Oktober noch häufiger zu beobachten ist.

Nachdem an diesem Tag bewaffnete Kommandos der Hamas aus dem Gazastreifen ausgebrochen waren und israelische Militärposten und Zivilisten angegriffen hatten, beantwortete die israelische Regierung die Offensive mit einem Luftkrieg, der bis heute andauert. Auf Solidarisierungsbekundungen mit dem »Ausbruch aus dem Gefängnis Gaza« sowie Kundgebungen gegen die israelischen Flächenbombardements reagierten die staatlichen Behörden mit harter Hand und setzen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit zeitweise außer Kraft.

In Hamburg und München wurden Mitte Oktober – inzwischen von Gerichten gekippte – Allgemeinverfügungen erlassen, mit denen faktisch jede angezeigte Veranstaltung zum Thema Nahost vorab unterbunden wurde. In der Hauptstadt unterband die Polizei von Anfang an willkürlich Demonstrationen mit thematischem Bezug. Das gipfelte im absurden Verbot einer Kundgebung unter dem Namen »Jüdische Berliner*innen gegen Gewalt in Nahost« am 14. Oktober – auch hier befürchtete die Polizei »antisemitische Straftaten«. Das repressive Vorgehen der »Sicherheitsbehörden« zumindest politisch zu legitimieren, beeilte sich am 12. Oktober die gesamte Politelite, als der Bundestag einen von den Ampelfraktionen und der Union eingebrachten Antrag, der die bundesdeutsche Treue zur israelischen Regierung beschwört, einstimmig annahm.

Im Berliner Stadtteil Neukölln, in dem sich eine große palästinensische Community eingerichtet hat, brach sich am 18. Oktober trotz der Verbote die Wut über die Verbrechen in Gaza Bahn: Hunderte kamen zu einer untersagten Kundgebung, die Polizei verhaftete wahllos Dutzende, die palästinensische Symbole trugen oder »Free Palestine« riefen. Die Springer-Medien läuteten mit der Mär von der »Krawallnacht« eine heiße Phase des Kulturkampfs gegen den »importierten Antisemitismus« ein. Die von rechts angeheizte Debatte über die »irregulären Migration« erwies sich schließlich als praktisches Vehikel, um auf ganzer Linie gegen Palästinenser zu hetzen. Am 5. Dezember verkündete die Innenministerin von Sachsen-Anhalt, Tamara Zieschang (CDU), per Erlass das Bekenntnis zum sogenannten Existenzrecht des Staates Israel zur Anforderung für Einbürgerungen zu machen. Die Maßnahmen zur Unterbindung des Protests betten sich zudem immer stärker in eine Atmosphäre, in der sich Palästinenser, Araber, Muslime und nicht zuletzt Linke unter »Antisemitismusgeneralverdacht« gestellt sehen.

Als Ende Oktober auch in Berlin propalästinensische Demonstrationen stattfinden durften, strömten regelmäßige Zehntausende zu Kundgebungen – ähnlich in anderen deutschen Städten. Auch deshalb schaltete sich das Bundesinnenministerium zur Züchtigung der gestärkten Bewegung ein, die nun gut sichtbar auf den Straßen Israel einen Genozid in Gaza vorwarf: Am 2. November gab Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unter anderem das Verbot des Netzwerks für Solidarität mit palästinensischen Gefangenen »Samidoun« bekannt - mit der Begründung, es verbreite israel- und judenfeindliche Propaganda. Mit dem Ministerialbeschluss wurde en passant auch die weltweit verwendete Parole »From the River to the Sea – Palestine will be free« verboten.

Doch was rechtfertigt die Instrumentalisierung des Kampfes gegen Antisemitismus zwecks Unterdrückung der Kritik am Zionismus? Das Narrativ, um Antisemitismus auf deutschen Straßen zu unterbinden, müsste man die propalästinensische Bewegung und ihre Ziele in Gänze diffamieren, setzt die Kritik am zionistischen Siedlerkolonialismus in Palästina und der israelischen Besatzungspolitik mit Judenfeindlichkeit gleich. Das bewirkt neben der Aushöhlung des Begriffs »Antisemitismus« selbst vor allem eins: Die »Rehabilitation« der durch die Unterstützung des Zionismus von der Schoah angeblich »geläuterten« BRD ermöglicht es ihr, sich international wieder offen als Großmacht zu gebärden.