Von Christine, Palästina-Aktivistin
Mein Freund Abdelkarim
Am 27. November 2019 sah ich Abdelkarim Abu Habel das erste Mal. Es war im Besucherraum der Justizanstalt Karlau. Ein herzliches Lächeln war das erste, was mir an diesem jungen höflichen Mann auffiel, der uns am Besuchertisch der humanitären Gerichtshilfe erwartete. Abdelkarim Abu Habel war aber kein Unbekannter für mich, eine kleine Zeitungsnotiz im Jahr 2017 erregte meine Aufmerksamkeit. Da stand zu lesen, dass ein aus Gaza stammender palästinensischer Flüchtling, der im Frühjahr 2016 nach Österreich kam, zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, weil er angeblich versucht hätte, über das Internet zwei junge Männer zu einem Bombenanschlag in der AlAqsa Moschee in Jerusalem anzustiften. Voller Betroffenheit dachte ich an diesen Menschen, sein Schicksal und wie es ihm wohl ergehe. Ende 2018 ´fand ich ihn wieder´. In einem gut recherchierten Artikel wurde über ihn berichtet. Anklage und Urteil in Österreich stützten sich auf Material des Israelischen Geheimdienstes. Die Aussagen der beiden jungen Männer, die er angestiftet haben soll, wurden im Prozeß als Belastungszeugen aus dem israelischen Gefängnis zugeschaltet. Auch sonst erschien mir manches ungereimt, etwa: Welchen politischen Sinn sollte es machen, wenn junge Muslime, deren Täterschaft durch die sofortige Verhaftung oder polizeiliche Tötung natürlich sofort festgestellt worden wäre, eine Handgranate unter muslimische Gläubige werfen? Jedenfalls erschien mir, dass das Urteil zumindest als unverhältnismäßig bezeichnet werden muss, da es im besagten Zeitraum nie zu einem Anschlag in der AlAqsa Mosche kam.
Als ich erfuhr, dass Abdelkarim Abu Habel in die Justizanstalt Karlau verlegt wurde, bemühte ich mich um einen Besuch bei ihm, zusammen mit einem Mitarbeiter der Sozialen Gerichtshilfe. Bereits das erste Treffen war ein besonderes Ereignis.
Trotz kleinerer Verständigungsprobleme erfuhren wir, dass er aus Gaza kommt, mit 14 Jahren wegen Steine-Werfen in israelische Haft kam und 9 Jahre, von 2004 bis 2013 in israelischen Gefängnissen festgehalten wurde. Er sagte, dass er nur mit einem fröhlichen Herzen, mit Hoffnung und Geduld diese schwere Zeit überstehen kann. Schwer fühlt sich die Einsamkeit an, schwer zu ertragen ist die Entfernung zur Heimat und zur Familie.
Die Hoffnung brauche er, um daran zu glauben, dass nach einigen Jahren guter Führung einem Antrag auf vorzeitige Entlassung stattgegeben werde. Um diese Zeit zu überwinden, bedarf es der Geduld und eines frohen Herzens. Er erzählte, dass er einen Deutschkurs besuchen darf und zwei Mal in der Woche als Elektriker arbeitet.
Seither habe ich ihn oft besucht. Zuerst im Besucherraum, wo wir uns persönlich gegenübersaßen. Nach dem Corona-Lockdown wurden aus Gesundheitsgründen persönliche Treffen untersagt und wir unterhielten uns getrennt durch eine Glasscheibe.
Jedes Mal lernten wir uns ein wenig besser kennen. Abdelkarims fröhliches Herz, sein jungenhaftes Lächeln, seine respektvolle Haltung und seine ehrliche und große Dankbarkeit für meine Besuche erfüllten mich jedes Mal mit stiller Freude und ließen mich die grauen Mauern der Karlau mit einem Lächeln verlassen.
Er erzählte mir von seinen Träumen. Einer ist der Transfer in ein israelisches Gefängnis, um näher bei seiner Familie zu sein. Ich weiß nicht, ob ihn mein Einwand, dass es ihm bei der österreichischen Justiz ja besser gehe, überzeugte. Ein anderer großer Traum ist ein Besuch seiner Frau und seiner beiden kleinen Söhne Omar und Bakr. ´Wenn sie nur eine Woche kommen könnten..´ hat er immer wieder gesagt. Er habe auch einen entsprechenden Visa-Antrag an die Österreichische Botschaft in Tel Aviv bzw. Ramallah geschickt, bislang aber noch keine positive Antwort erhalten.
Wir sprachen viel über seine Interessen an diversen Kulturen und Religionen. Er betonte immer wieder, dass er gläubiger Muslim ist, sich aber strikt und dezidiert von Menschen distanziert, die den Glauben zur Gewaltlegitimierung missbrauchen. Was die Politik Palästinas betrifft, so träumt er davon, dass Fatah und Hamas sich versöhnen sollen.
Bei meinem Besuch am 5. August war der fröhliche Abdelkarim niedergeschlagen, denn vor 2 Tagen habe man sein Handy konfisziert und das Telefonieren mit Frau und Kindern fehle ihm sehr. Als er meine Betroffenheit sah, war er es, der mich aufmunterte!
Bei einem späteren Besuch erzählte er mir, dass er noch am selben Tag in die Hochsicherheitsabteilung gebracht wurde, dass er ständig verhört werde, dass er seinen Anwalt erst nach Wochen kontaktieren durfte. Er weiß noch immer nicht, warum seine Haftbedingungen verschärft wurden. Es würden ihm Dinge zur Last gelegt, mit denen er nichts zu tun hat bzw. die kein Vergehen darstellen, wie z.B. Kontakte zu anderen Gefangenen, mit denen er ohnehin wegen Sprachproblemen nichts ´Verbotenes´ besprechen könne. Mit fester Stimme sagt er immer wieder, dass er unschuldig ist. Seit er in der Hochsicherheitsabteilung ist, also seit 5.8., darf er nicht mehr arbeiten, keinen Deutschkurs besuchen, nur 1 Stunde in den Garten gehen und die Kontakte zu Mitgefangenen sind stark reduziert.
Aber auch seit er in dieser Abteilung ist, habe ich ihn immer fröhlich und lächelnd angetroffen. Freudig erzählte er mir immer von den Briefen die er von einem Mitarbeiter der Sozialen Gerichtshilfe erhält.
Auch das Lachen kommt nie zu kurz. Wenn er besonders schmunzelte, lag das wohl öfter daran, dass ich versuchte, ein arabisches Wort zu verwenden, welches aber wohl durch meine Aussprache zu Verwechslungen Anlass gab.
Vor kurzem hörte ich, dass Abdelkarim Abu Habel in Hungerstreik trat, um bessere Haftbedingungen zu erreichen. Ich bin betroffen und voller Sorge um seine Gesundheit, aber ich verstehe ihn sehr gut. Wir, die wir wegen diverser Corona-Lockdown in unseren goldenen Käfigen die Nerven verlieren, können uns nicht einmal vorstellen, was es heißt, ein Leben lang eingesperrt zu werden. Noch dazu verschärft in der Hochsicherheitsabteilung, noch dazu ohne Grund.
Ich bin mit Abu Habel tief verbunden, ich bin mit ihm solidarisch, er ist mein Freund Abdelkarim. Ich hoffe, dass sein Hungerstreik die Einsicht und Vernunft der Behörden wachruft und dass Worte wie ´humanitärer Strafvollzug´ keine leeren Worthülsen sind.
Über die Autorin: Ich bin eine 68-jährige Pensionistin. Geboren und aufgewachsen auf einem kleinen Bauernhof in der Südoststeiermark hatte ich das große Glück, viele Jahre in Südamerika leben zu dürfen, wo ich die Lebensweise indigener Menschen kennenlernte und auch das Leid, das ihnen der Kolonialismus zufügte. Von den ZapatistInnen in Mexiko lernte ich, dass eine andere Welt möglich ist und dass es dazu des Widerstands bedarf. Deshalb fühlen sich die ZapatistInnen solidarisch mit den Menschen in Palästina. Auch die PalästinenserInnen sind Indigene, die sich gegen Kolonialismus, Landraub und Vertreibung wehren und um Selbstbestimmung kämpfen. Ihnen gilt meine Solidarität.