Regierung und Medien bedrohen die demokratische Freiheit, für gleiche Rechte für alle und gegen Apartheid einzutreten
Erklärung der Palästina Solidarität Österreich zur Großdemo am 12.5.21 in Wien
„Wir sind alle Sheikh Jarrah“ lautete die Losung unserer Demonstration, denn nicht nur wir, sondern die ganze Welt ist in Aufruhr gegen den israelischen Kolonialismus und seine systematische Vertreibung der PalästinenserInnen. Einzig die westlichen Staaten, die USA, die EU und leider auch Österreich, unterstützen die völkerrechtswidrige Besatzung und ethnische Säuberung, die von der UNO in zahllosen Resolutionen verurteilt und von Human Rights Watch als Apartheid bezeichnet wurde.
Am 12. Mai haben in Wien tausende vorwiegend junge Menschen lautstark gegen dieses Unrecht demonstriert und ihrer berechtigten Wut Ausdruck verliehen – es war eine Demonstration für Menschenrechte und Demokratie für alle und gegen Kolonialismus. Wir hatten zwei klare Forderungen:
* Schluss mit der Vertreibung der PalästinenserInnen aus Jerusalem!
* Österreich soll sich im Sinne der Neutralität und des Völkerrechts für die Grundrechte der PalästinenserInnen einsetzen – anstatt Israels Apartheid zu unterstützen.
Diesen Forderungen wurde deutlich und prominent Ausdruck verliehen. Die Medien allerdings haben darüber in keinster Weise berichtet. Nichts über die Forderungen, nichts über die RednerInnen und die Organisatoren, die Palästina Solidarität Österreich, wurden kein einziges Mal gefragt. Bei der Berichterstattung handelt es sich daher um ein Lehrbeispiel von eingebettetem Journalismus ohne jedes Berufsethos oder kritischen Geist.
Anstattdessen hatte man zunächst ein Statement der Israelitischen Kultusgemeinde lanciert, wonach Jüdinnen und Juden die Mariahilfer Straße meiden sollten und in Gefahr wären. Durch dieses Vorgehen wurde die Demonstration in einen Diskursrahmen gestellt, der vom Kern der Sache, den forcierten Vertreibungen von PalästinenserInnen, ablenkt. Auf diese Weise wird ein Angstszenario aufgebaut, das jeder Grundlage entbehrt. Es sind aber doch die Musliminnen und Muslime, die von Diskriminierung von höchster Stelle bedroht und betroffen sind.
Die nächste Manipulation: Der ORF zitiert unhinterfragt die unbelegten Unterstellungen der Jüdischen Österreichischen Hochschülerschaft, die für ihre extremistische Unterstützung Israels bekannt ist und derzufolge die Organisatoren antisemitisch seien. In der Folge präsentieren Tageszeitungen die Vorwürfe als vermeintliche Fakten in ihrer Berichterstattung – ein verleumderischer Akt angesichts unseres jahrzehntelangen Engagements für Menschenrechte für alle Menschen gleichermaßen. Die Menschenrechte gelten für Israelis und für PalästinenserInnen – letzteren werden sie aber in ungeheuerlicher Art und Weise vorenthalten und verweigert, weswegen wir uns dafür stark machen.
Im Gegensatz zu Israel und seinen Narrativen unterscheiden wir streng zwischen Judentum auf der einen Seite und dem israelischen Nationalismus auf der anderen. Es ist der israelische Nationalismus, der die volle Verantwortung für die Unterdrückung der PalästinenserInnen trägt. In der Tradition des Antifaschismus und Antiimperialismus stehend distanzieren wir uns selbstverständlich von Antisemitismus – ebenso müssen wir uns aber auch vom Zionismus distanzieren.
In den Medien folgen die üblichen Verleumdungen von wegen „islamistisch“, „Holocaust-Relativierung“, „Hamas“ etc. Kein Wort davon, dass sich unter den RednerInnen der Benediktinermönch Karl Helmreich, eine Kämpferin gegen die südafrikanische Apartheid oder auch Leo Gabriel vom Weltsozialforum befanden. Wir halten nochmals fest: Es handelte sich bei der beeindruckenden Manifestation für die Rechte aller PalästinenserInnen um keine islamistische Demonstration (was immer das auch sein soll, denn die Regierung spielt mit dem Kampfbegriff „Politischer Islam“ ein gefährliches Spiel des Generalverdachts gegen Musliminnen und Muslime). Wir relativieren den Holocaust nicht und machen auch keine Gleichsetzungen! Mit Margarete Gal, unserer langjährigen Ehrenvorsitzenden, deren Familie von Widerstandskämpfern über den Krieg in der Leopoldstadt eine jüdische Familie in ihrer Wohnung versteckt hielt, sagen wir nur klar, dass der Holocaust in keiner Weise die Unterwerfung und Vertreibung der PalästinenserInnen rechtfertigt. Und wir haben nichts mit Parteien zu tun, weder palästinensischen noch österreichischen. Zudem: wir können bei einer derartigen Masse an TeilnehmerInnen nicht jedes Taferl kontrollieren.
Doch es kommt noch schlimmer: Bundeskanzler Kurz hat sich sofort und vorbehaltslos auf die Seite Israels bei den Vertreibungen und bei den Attacken auf Gaza gestellt und demonstrativ die Fahne Israels über dem Bundeskanzleramt hissen lassen – in eklatanter Verletzung nicht nur der Neutralität, sondern auch des Völkerrechts. Er spricht vom Recht Israels auf Selbstverteidigung in völliger Verdrehung der Verhältnisse zwischen Herrscher und Beherrschten. Denn es sind die PalästinenserInnen, die angegriffen werden und denen das Recht auf Selbstverteidigung abgesprochen wird.
Ministerin Raab: „Bei Aufrufen zur Gewalt gegen Israel und antisemitischen Äußerungen gilt für uns null Toleranz!“ Doch die Gewalt geht von der Besatzung und ihren Machtstrukturen aus und es sei an das bei der Regierung so ungeliebte Völkerrecht erinnert, das das Recht auf Widerstand gegen fremde Besatzung ausdrücklich verbrieft. Doch Kurz & Co setzen alles daran, Demokratie und Kritik an Kolonialismus als antisemitisch zu diffamieren und damit zu kriminalisieren – sie drohen mit dem Verfassungsschutz und tun alles dafür, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit dieser volle Handlungsrechte erhält.
Darum sind die Gesetze gegen „religiösen Extremismus“, politische Symbole, die Kampagne gegen den „Politischen Islam“ auch so brandgefährlich, weil sie letztlich gegen die Meinungsfreiheit gehen und Gesinnungsjustiz den Weg ebnen.
In einem hat Innenminister Nehammer leider recht. Die Demokratie ist akut gefährdet! Jedoch nicht durch uns oder „ausländische Einflüsse“, sondern durch ihn und seine Regierung.
Wir lassen die demokratischen Grundrechte nicht verbieten – und das schließt das Recht ein, für gleiche Rechte für alle und gegen Apartheid und Kolonialismus einzutreten! Ein gerechter Frieden ist unser Ziel!