Verlesen bei der Palästina-Demonstration am 22.6.24 vor dem Parlament in Wien
Sehr geehrte Kameradinnen und Kameraden!
Wegen der verleumderischen Angriffe gegen mich, die in den letzten Wochen zunahmen und sich bereits zu einer möglichen Gefährdung meiner Person entwickeln, und zwar von Parteien, die ich für politisch näherstehend – antifaschistisch – hielt, beschloss ich, nicht an der Bundesdelegiertenversammlung teilzunehmen, damit der Verband seine Arbeit ungestört fortsetzen.
Meine Einschätzung der letzten Monate ist, dass es einem antifaschistischen Verband von Opfern des Faschismus und Widerstandskämpfern nicht möglich ist, eine Regierung zu unterstützen, die aus Faschisten und rechtsextremen besteht, die einen Prozess der Säuberungen und illegalen Besatzung anheizen und die gesamte Region mit Überlegenheit und Verachtung behandeln.
Ich zitiere David Ben-Gurion, einer der Gründer des Staates Israel und sein erster Ministerpräsident:
„Wir werden sie im großen Stil vertreiben“
David Ben-Gurion sagte vor dem 20. Zionistischen Kongress in Zürich, 7. August 1937:
„Die Verdrängung der [arabischen] Bevölkerung hat bereits stattgefunden im [Jezreel-] Tal, in der Scharon-Ebene und an anderen Orten. […] Nun muss ein Transfer in einer ganz anderen Dimension durchgeführt werden. In verschiedenen Teilen des Landes werden neue jüdische Siedlungen nicht möglich sein, wenn nicht auch die arabische Bevölkerung umgesiedelt [d.h. vertrieben] wird … Es ist wichtig, dass dieser Plan von der [englischen Peel-] Kommission kommt und nicht von uns. […] Der Transfer der [arabischen] Bevölkerung ermöglicht uns ein umfassendes [jüdisches] Siedlungsprogramm. Zum Glück für uns hat die arabische Bevölkerung enorme verlassene Gebiete. Die wachsende jüdische Macht im Lande wird unsere Möglichkeiten verbessern, einen großen Transfer durchzuführen. Sie müssen bedenken, dass diese Methode auch eine wichtige humane und zionistische Idee enthält. [Nämlich] Teile eines Volkes [d.h. die Araber] in ihr eigenes Land zu transferieren und leeres Land zu besiedeln [gemeint war die jüdische Besiedlung des “ganzen” Palästina einschließlich Transjordaniens und Teile des Irak].*“
Quelle: Revisiting the Palestinian exodus of 1948, Benny Morris, in: The War for Palestine, Rogan / Shlaim, Cambridge 2002, S. 43
Das von David Ben-Gurion sehr offen beschriebene zionistische Projekt und seine langjährige Praxis gleicht einer nationalistischen und rassistischen Kolonialpolitik, die nicht weiterhin normalisiert werden darf.
Über die heutige Situation im Gazastreifen und im Westjordanland, über die verkündeten und demonstrierten Motive der israelischen Regierung, über die Stimmungen und Meinungen in der israelischen Gesellschaft, über die Schikane der Familien der Geiseln, über die Tausenden von palästinensischen Geiseln, darunter Frauen und Kinder, über ihre gut dokumentierten Foltern, über die Entführungen und Siedlergewalt im Westjordanland, über die Technologie des Massakers, — kann man mit einem Minimum an Aufwand alles herausfinden. Von zahlreichen israelischen und internationalen Organisationen, die das dokumentieren, und vor allem von den Tätern selbst.
Es ist das am stärksten überwachte Stück Land auf dieser Erde, viele westliche Organisationen helfen dabei, die Besatzung aufrechtzuerhalten, und sind vor Ort – man kann sich nach eigenem Belieben aussuchen, welchen Zeugen zu folgen ist.
Nicht zuletzt geht es in dieser Frage auch um die Haltung Österreichs und der EU.
Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sich unser Staat auf die Seite des Faschismus schlägt, dass er sich an der Entmenschlichung beteiligt, dass er die Geschichte manipuliert. Österreich ist immer noch nicht bereit, die Souveränität Palästinas anzuerkennen, die von der Mehrheit der Welt anerkannt und in regelmäßigen Abständen in der UN-Generalversammlung durch einen breiten internationalen Konsens bekräftigt wird – jedes Jahr seit 1989. – unter dem Titel “Friedliche Lösung der Palästina-Frage”, gegen die Israel und die USA stets ihr Veto einlegen….
Die Weigerung, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, und das zynische Mantra vom abstrakten Existenzrecht eines vollständig existierenden Staates sind ein Akt absoluter Niedertracht und fordern nun einen tödlichen Preis bei einer staatenlosen Bevölkerung.
Als Nachfahre jüdischer politischen Opfer des Faschismus kann ich solche Politik nicht mittragen und den Sinn eines Opferverbandes, der diese Verbrechen rechtfertigt oder herabsetzt, nicht erkennen.
Ich bekenne mich, nach wie vor, zum Mauthausen Schwur in dem es heißt:
„Es öffnen sich die Tore eines der schwersten und blutigsten Lager: des Lagers Mauthausen. Nach allen Himmelsrichtungen werden wir in freie und vom Faschismus befreite Länder zurückkehren. Die befreiten Häftlinge – denen noch gestern der Tod aus den Händen der Henker der nazistischen Bestie drohte – danken aus tiefstem Herzen den siegreichen alliierten Nationen für die Befreiung und grüßen alle Völker mit dem Rufe der wiedererlangten Freiheit.
Der vieljährige Aufenthalt im Lager hat in uns das Verständnis für die Werte einer Verbrüderung der Völker vertieft. Treu diesen Idealen schwören wir, solidarisch und im gemeinsamen Einverständnis, den weiteren Kampf gegen Imperialismus und nationale Verhetzung zu führen. So, wie die Welt durch die gemeinsame Anstrengung aller Völker von der Bedrohung durch die hitlerische Übermacht befreit wurde, so müssen wir diese erkämpfte Freiheit als das gemeinsame Gut aller Völker betrachten.
Der Friede und die Freiheit sind die Garantien des Glückes der Völker, und der Aufbau der Welt auf neuen Grundlagen sozialer und nationaler Gerechtigkeit ist der einzige Weg zur friedlichen Zusammenarbeit der Staaten und Völker. Wir wollen nach erlangter eigener Freiheit und nach Erkämpfung der Freiheit unserer Nationen die internationale Solidarität des Lagers in unserem Gedächtnis bewahren und daraus die Lehren ziehen:
Wir werden einen gemeinsamen Weg beschreiten, den Weg der unteilbaren Freiheit aller Völker, den Weg der gegenseitigen Achtung, den Weg der Zusammenarbeit am großen Werk des Aufbaus aus einer neuen, für alle gerechten, freien Welt. Wir werden immer gedenken, mit welch großen blutigen Opfern aller Nationen diese neue Welt erkämpft wurde.
Im Gedenken an das vergossene Blut aller Völker, im Gedenken an die Millionen, durch den Nazifaschismus gemordeten Brüder, geloben wir, dass wir diesen Weg nie verlassen werden. Auf den sicheren Grundlagen internationaler Gemeinschaft wollen wir das schönste Denkmal, das wir den gefallenen Soldaten der Freiheit setzen können, errichten:
DIE WELT DES FREIEN MENSCHEN.
Wir wenden uns an die ganze Welt mit dem Ruf: Helft uns bei dieser Arbeit!
Es lebe die internationale Solidarität!
Es lebe die Freiheit!“
Es ist für mich sehr schmerzhaft, wie leichtfertig mit der universalistischen antifaschistischen Botschaft vom KZ-Verband umgegangen wird. Mit der Botschaft “der unteilbaren Freiheit aller Völker, den Weg der gegenseitigen Achtung, den Weg der Zusammenarbeit am großen Werk des Aufbaues einer neuen, für alle gerechten, freien Welt.”
In diesen Sinnen und im Sinne der Worte der Ausschwitz überlebenden Esther Bejerano:
Wir sind nicht verantwortlich für das, was geschehen ist, aber wir sind dafür verantwortlich, was geschieht.
Mit antifaschistischen Grüßen!
Ernst Wolrab
*[But] transfer of population has already taken place in the [Jezreel] Valley, in the Sharon [Plain] and in other places. You are aware of the work of the Jewish National Fund in this respect. [The reference is to the sporadic uprooting of Arab tenant-farmer communities from lands purchased by the JNF.] Now a transfer of wholly different dimensions will have to be carried out. In various parts of the country new Jewish settlement will not be possible unless there is a transfer of the Arab fellahin . . . It is important that this plan came from the Commission and not from us . . . The transfer of population is what makes possible a comprehensive settlement program. Fortunately for us, the Arab people have enormous desolate areas. The growing Jewish power in the country will increase our possibilities to carry out a large transfer. You must remember that this method [i.e., possibility] also contains an important humane and Zionist idea. To transfer parts of a people [i.e., the Arabs] to their own country and to settle empty lands [i.e., Transjordan and Iraq] . . .