Die Dialektik von Verbrechen und Widerstand…!!

In Gaza verlaufen die Dinge nicht so, wie sie durch die geschönten Linsen der Medien dargestellt werden – und noch weniger so, wie man sie auf die Vokabeln von „humanitärer Hilfe“ und „Nothilfe“ reduzieren möchte. Was sich in diesem belagerten Küstenstreifen abspielt, ist weder ein gewöhnlicher Krieg noch ein „Konflikt“ im modernen Sinne, sondern eine systematische Reinszenierung des Konzepts der Auslöschung – nicht als Unfall, sondern als politisches Instrument und als Versuch, das palästinensische Bewusstsein neu zu formen. Eine Bewusstseinsoperation im Sinne der „Großisrael“-Doktrin, eingebettet in die geostrategischen Logiken eines Westens, der den Nahen Osten weiterhin als Experimentierfeld für seine imperialen Machtspiele betrachtet.

Es ist ein Krieg gegen das Sein, nicht gegen Waffen – gegen Identität, nicht gegen Organisationen. Damit ist Gaza nicht nur eine humanitäre Tragödie, sondern ein philosophisches Verbrechen gegen das Dasein selbst, gegen die freie menschliche Willenskraft, die das palästinensische Volk nicht als bloße Reaktion, sondern als Substanz seines nationalen Projekts verteidigt. Mehr als 2,25 Millionen Menschen leben heute unter einem systematisch choreografierten Hungerregime – nicht, weil sie eine Schuld auf sich geladen hätten, sondern weil sie sich entschieden haben, nicht zu knien. Das, was in Gaza geschieht, ist nicht isoliert zu betrachten – es ist Ausdruck der strukturellen Gewalt eines imperialen Weltsystems, das Kolonialismus legitimiert, wenn dieser im Gewand der Moderne auftritt, und das Opfer zur Täterin erklärt, wenn es unter Bomben schreit.

Zwischen dem Schweigen der „humanitären“ Institutionen und dem Verrat der „brüderlichen“ Regime entblößt sich die globale Gewissenskrise in ihrer hässlichsten Fratze: Völkermord wird als Routine behandelt, Widerstand als Terrorismus diffamiert. Seit über 21 Monaten setzt Israel alles ein, was seine materielle und symbolische Kriegsmaschinerie hergibt: von der verbrannten Erde bis zur gezielten Hungerkonstruktion, vom psychischen Zermürben der Kindheit bis zur Verwandlung des Brotlaibs in eine Waffe der Demütigung. Es ist nicht nur ein Krieg gegen Körper, sondern gegen Subjektivität, gegen Erinnerung – gegen Zukunft. Doch was die Maschine der Aggression nicht begreift: Die Werkzeuge der Vernichtung können das palästinensische Bewusstsein nicht neu codieren. Der Gazaner, dessen Körper zu einem Skelett geschrumpft ist, ist nicht zum Sklaven des Überlebensinstinkts geworden. Er bleibt ausgerichtet auf den magnetischen Pol der Würde. Und genau das macht die palästinensische Geduld – nicht als individuelle Tugend, sondern als kollektive existentielle Haltung – zu einer dialektischen Negation dessen, was Israel intendiert: Den Palästinenser vom Widerständler zum Gefügigen zu machen, vom Träger einer gerechten Sache zum Zweifelnden an ihrer Legitimität.

Die Philosophie des Feindes basiert darauf, Bedürftigkeit in Knechtschaft zu verwandeln, Leid in Ketten. Doch was sich weder in den Laboren der Generäle messen noch in den Dossiers der Geheimdienste notieren lässt, ist: Der bis auf den Knochen belagerte Mensch kann – statt zu zerbrechen – sich mit dem Schmerz identifizieren und ihn in revolutionäres Bewusstsein transformieren. So wird der Widerstand in Gaza nicht als bloße Überlebensstrategie, sondern als verzögerte Siegskonzeption lesbar – aufgebaut aus dem Lehm des Hungers und dem Blut der Gefallenen.

Das zerstörte Haus mag eines Tages wieder aufgebaut werden. Doch verlorene Würde lässt sich nicht so leicht rekonstruieren. Deshalb bleibt der Gazaner auf seinem Boden – nicht, weil es keine Alternative gäbe, sondern weil er weiß: Vertreibung ist kein Weg in die Rettung, sondern ins Vergessen. In Gaza kämpfen die Menschen nicht nur gegen Bomben und Raketen, sondern gegen ein imperialistisches Projekt, das die geografische und historische Erinnerung eines ganzen Volkes auslöschen will – durch Hunger, Verarmung, Auslöschung der organischen Verbindung zwischen Mensch und Land, zwischen Geschichte und Zukunft. So stehen wir vor einer historischen Dialektik: Der Feind versucht, einen „Frieden“ auf den Trümmern der palästinensischen Niederlage zu errichten. Der Palästinenser hingegen baut sein nationales Projekt auf den Ruinen der israelischen Hybris. Das ist die Realität Gazas: Auf der einen Seite eine brutale Militärmaschinerie, unterstützt durch die Technologie des modernen Kolonialismus – auf der anderen Seite ein entwaffnetes Volk, das nur eine einzige Waffe besitzt: den unerschütterlichen Glauben an die Gerechtigkeit seiner Sache. Eine Geduld, die zur Waffe wird – gegen Hunger, gegen Belagerung, gegen die Bedeutungslosigkeit. Und gerade diese erzwungene Geduld ist es, die das zionistische Projekt in seinem innersten Widerspruch erschüttert. Der fortgesetzte Widerstand – in all seinen Formen – hat Israels Kalkulationen in eine politische, moralische und militärische Sackgasse geführt. Jeder Tag, der in Gaza vergeht, ist eine doppelte Niederlage für Israel: auf dem Schlachtfeld und im Bewusstsein einer Welt, die – wenn auch spät – beginnt, das Grauen jenes Projekts zu begreifen, das sich einst als „humanitär“ ausgab.

Gaza ist heute nicht nur Symbol einer Tragödie, sondern Kompass zum Verständnis der Welt, wie sie ist: Eine Welt, in der sich die Interessen der Tyrannen kreuzen, in der Regime zusammenarbeiten, um Völker zu töten, und in der die Würde unter dem Banner des „Realismus“ zertreten wird. Aber Gaza ist auch ein Ort, an dem Wunder aus Trümmern geboren werden – und an dem der Wille aus Wunden geformt wird. Gaza ist verwundet – aber nicht bewusstlos. Belagert – aber nicht hoffnungslos. Es ist ein offenes Labor zur Reproduktion des palästinensischen Sinns in einer Ära des postmodernen Kolonialismus. Diese große Tragödie darf nicht im Lärm der Medien verflüchtigt oder in einem Solidaritäts-Tweet banalisiert werden. Sie ist ein existenzieller Schrei, ein Prüfstein für unseren kollektiven Willen:

Wollen wir wirklich eine gerechtere Welt? Oder haben wir uns damit abgefunden, die Zuschauerrolle in einem Drama zu spielen, dessen wahre Helden jeden Tag vor den Augen einer tauben Welt sterben?

Gaza sagt: Wir sind hier. Und wir bleiben. Und die Henker? Sie marschieren – ob sie wollen oder nicht – in Richtung der Müllhalde der Geschichte. Dort, wo sie hingehören.

(Archivbild) © dpa / Rizek Abdeljawad/XinHua