Sehr geehrter Herr Vizekanzler Babler,

Ich habe mich sehr gefreut, als Sie als Vizekanzler angetreten sind. Für mich war das ein Moment der Hoffnung, dass wieder mehr Haltung, soziale Gerechtigkeit und Dialogbereitschaft in die Politik einziehen könnten.

Umso enttäuschender fand ich den Rückzug Ihrer Einladung an Aktivist:innen bei den Salzburger Festspielen, nachdem Sie sich als sozialdemokratischer Repräsentant mit dem Anspruch eines offenen Dialogs präsentierten. Ist das der Boden der Realität – so ein Rückzieher, um sich allen anderen anzupassen?

Ich selbst bin Psychotherapeutin in Innsbruck und soziale Gerechtigkeit und Frieden – und damit auch Frieden für das palästinensische Volk – sind mir ein großes Anliegen. Deshalb bin auch ich sehr stark mit der Palästina-Solidaritätsbewegung verbunden, eine Art Dachverband, für solidarischen Austausch und zivilgesellschaftliches Engagement. Ich finde, die Aktivisten hätten ein Gespräch verdient – statt Diffamierung und Rückzug; ein Gespräch, das ja vielleicht auch für Sie sehr interessant sein könnte.

Ich bin überzeugt Herr Babler, dass Sie ein Mensch mit Herz und Verstand sind und nicht das Narrativ vertreten, das Politik und Leitmedien bislang verbreiteten, wenn auch glücklicherweise langsam eine Veränderung spürbar wird. Ich bin auch überzeugt, dass Sie im Grunde das Vorgehen der zionistischen, auf Apartheid und Siedlerkolonialismus beruhenden israelischen Regierung, die aktuell einen Völkermord begeht, verurteilen.

Was hindert Sie daran, dies klar auszusprechen, gegen das Assoziierungsabkommen klar einzutreten, andere Sanktionen zu fordern und sich deutlich gegen diesen Völkermord zu positionieren?

Eine Veränderung wird glücklicherweise aber viel zu langsam spürbar. Sie könnten in der österreichischen Politik diese Veränderung als Erster stark vorantreiben.

Nie wieder“ hatte für Sozialdemokrat:innen einst eine große Bedeutung.

Ihre innere Haltung kam in der Felsenreitschule zum Ausdruck, als Sie – ohne lange zu überlegen – diese Einladung ausgesprochen haben. Als Mensch und als Sozialdemokrat, der für Gerechtigkeit und Frieden steht. Genau dafür haben Sie viele Menschen gewählt. Lassen Sie sich bitte nicht von anderen, die andere Interessen haben, so schnell einschüchtern, sondern bleiben Sie bei Ihrem Versprechen und laden Sie diese Aktivist:innen zu einem Dialog ein. Ich bin überzeugt: Ihr Angebot in Salzburg war von Herzen und ernst gemeint.

Ich würde mir wünschen, dass zumindest Sie weiter Ihrer inneren Haltung gemäß Entscheidungen treffen, denn genau das braucht die Politik dringend. Sie können sich entscheiden, für welche Form von Politik Sie stehen wollen: Für Rückzug und Angst vor Kontroversen – oder für den Mut, für Gerechtigkeit und Frieden wirklich einzutreten.

Vielleicht wird sie dieses Schreiben nicht mal erreichen, weil Büromitarbeiter solche „Post“ bearbeiten.

Mit herzlichen Grüßen aus Innsbruck

Christina Angerer