Rüstungsexporte aus Wien-Liesing finden ihren Weg zu den globalen Schlachtfeldern
Neben der Triester Straße nahe Vösendorf stand einst eine Erdöl-Raffinerie. Die Stadt Wien stellte einen Teil des verseuchten Areals dem Wiener Tierschutzhaus zur Verfügung, ohne die Verseuchung mitzuteilen. Am nördlich angrenzenden Bereich, von der Straße schwer einsehbar, entdeckten Anrainer im Frühjahr 2025 viele hundert Militärtransporter mit dem Emblem der Deutschen Bundeswehr, die eng mit der NATO kooperiert. Bald war klar, dass hier ein temporärer Abstellplatz für das Rüstungswerk „Rheinmetall-MAN Military Vehicles“ (RMMV) eingerichtet wurde, das sich an der Brunner Straße in Wien-Liesing befindet.
Das ganze Areal ist jedoch nicht verwendbar: Zwischen Militärtransportern und dem Tierschutzhaus befindet sich ein verseuchter Sumpf, in dem man angeblich versinken könne, erfuhr ich, sowohl Menschen, als auch LKWs. Einige Monate vorher waren viele hundert weitere Kriegs-LKWs dieses Wiener Herstellers beim Wiener Hafen entdeckt worden. Der Export von Kriegsmaterial scheint zu blühen.
Doch handelt es sich bei diesen Fahrzeugen um Kriegsmaterial? Eindeutig ja. Ein wesentliches Kriterium ist das Vorhandensein einer gepanzerten Bodenplatte, und überdies werden die Schwerlast-LKWs zum Bergen und Transportieren von Panzern, sowie fest verbunden mit einem sehr großen Geschütz („Radhaubitze“) verwendet.
Mich interessierte nun die Frage, ob diese Dinger, die zu Hunderten in Wien produziert und dann großteils exportiert werden, auch auf Kriegsschauplätzen landen. Die bedauerliche Antwort lautet: Ja. Allerdings über Umwege. Ein direkter Export in ein kriegführendes Land wäre ja verboten.
Das Rüstungswerk in Wien-Liesing und die Firma Rheinmetall
Wo heute am großen Areal der Brunner Straße 44-50 Kriegsfahrzeuge gebaut werden, befand sich ab 1922 die Automobilfabrik Perl. Ihre Aktien wurden 1938 von der Gräf & Stift AG gekauft, und in den Nachkriegsjahrzehnten wurden auf dem Areal Reise- und Postautobusse, sowie LKWs gebaut. Im Rahmen von Fusionen kam das Werk in den 1970er Jahren in den Besitz von MAN (1908 gegründete „Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg“), 1988 wurden die heutigen Hallen erbaut. Inzwischen ist MAN ein global produzierender Konzern, die Standorte in Wien und in Kassel wurden 2010 mit einem Ableger des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall zum Gemeinschaftsunternehmen RMMV fusioniert.
Rheinmetall mit Hauptsitz in Düsseldorf war immer schon auf Krieg fokussiert. 1889 gegründet, wurde 1896 ein „modernes Schnellfeuergeschütz“ präsentiert. 1914 hatte man knapp 8000 Arbeiter, 1918 bereits 48.000 Arbeiter und Angestellte – man profitierte vom Krieg. Die Alliierten erzwangen nach 1918 einen Umstieg auf zivile Produkte. In der NS-Zeit erlebte der wieder Waffen produzierende Konzern, er hieß nun „Rheinmetall-Borsig“, einen Aufschwung. 1941 wurde er Teil der „Reichswerke Hermann Göring“ und verwaltete in Düsseldorf zwei Außenlager des KZ Buchenwald. Eine große Zahl von Zwangsarbeitern und KZ Häftlingen wurde zur Steigerung der Rüstungsproduktion gezwungen.
Ein im Osten Deutschlands gelegenes Rheinmetall-Werk produzierte nach 1945 in der DDR als staatseigener Betrieb u.a. Mopedmotoren, Fotoapparate und später sogar urtümliche Computer. 1992 wurde es von der Treuhandanstalt liquidiert. Der westdeutsche Rheinmetall-Ableger hatte mit zivilen Gütern zunächst wenig Erfolg und verlagerte sich 1956, als die Bundeswehr geschaffen wurde, neuerlich auf Kriegsgüter.
Seit der Eskalation des Ukrainekriegs im Jahr 2022, als die transatlantischen Mächte das geostrategische Konzept der RAND Corporation von 2019 umsetzten und erfolgreich eine Invasion Russlands provozierten, seit damals also ist der Aktienkurs von Rheinmetall bis Mai 2025 um das 16-fache gestiegen!
Wiener Kriegsmaterial am Schlachtfeld der Ukraine
Nun stellte sich die Frage, ob Rüstungsgüter aus dem Wiener Werk aktuell auch im Ukraine-Krieg zum Einsatz kommen. Tatsächlich fand sich in einer langen Liste der Bundeswehr-Lieferungen an Zelenskyjs Militär unter anderem die Lieferung von 90 Schwerlastzügen des Typs HX81 in die blutgetränkten Schlachtfelder der Ostukraine, wobei diese HX81-Fahrzeuge Panzer und Haubitzen transportieren oder bergen können, also mit dem tödlichen Krieg unmittelbar verbunden sind. Webseiten von Rheinmetall und Rüstungs-Infoseiten deuten darauf hin, dass diese HX81 Schwerlastzüge in Wien produziert und an den deutschen Staat verkauft worden sind. Deutschland schickte sie schließlich ins Kriegsgebiet. Gleichzeitig kauft die Bundeswehr hunderte neue HX Schwerlastzüge, die in Wien produziert werden und vor dem Abtransport sowohl beim Hafen Freudenau, als auch neben der Triester Straße gelagert wurden und werden, weil man für die vielen produzierten Kriegsfahrzeuge gar nicht genug Platz findet.
https://militarnyi.com/en/news/rheinmetall-to-produce-additional-1-388-trucks-for-bundeswehr/
Zur Zeit des Noricum-Skandals Anfang der 1980er Jahre mussten Waffenkonzerne wie die VOEST bzw. ihre Tochterfirma Noricum vom Empfängerland ein Endverbraucher-Zertifikat einholen, demzufolge ein Weiterverkauf an kriegführende Staaten dauerhaft untersagt sei. Direkte Belieferung von kriegführenden Staaten war sowieso illegal. In Zeiten der Globalisierung umgehen Konzerne die Vorgaben unserer Neutralität: Der Konzernsitz von Rheinmetall MAN Military Vehicles befindet sich nämlich nicht in Wien, sondern in München auf NATO-Territorium, es ist zu vermuten, dass dort auch der Liefervertrag mit der Bundeswehr unterschrieben wurde.
Die juristischen Aspekte im Hinblick auf die Neutralität Österreichs werden noch zu untersuchen sein und in einem späteren Artikel dargelegt werden. Es stellt sich ja die Frage, ob der formale Firmensitz oder der Produktionsort für die Exporterlaubnis entscheidend ist: In Medienberichten wurde jedenfalls ganz begeistert von Rüstungsgütern „Made in Austria“ geschrieben. Auch wenn Wien sich gerne als Heurigenstadt mit Sängerknaben und Lipizzanern präsentiert: Seit der Monarchie über die NS-Zeit bis heute galt und gilt der Bereich zwischen Wien und Wiener Neustadt als wesentlicher Standort der Kriegsindustrie.
Von Wien in die Negev-Wüste: Kooperation mit dem kriegführenden Israel
Der Wiener Produktionsstandort von RMMV in Liesing dürfte, so ergaben meine Recherchen, außerdem maßgeblich an einer Kooperation der Rheinmetall-Konzerngruppe mit dem großen israelischen Rüstungskonzern Elbit Systems beteiligt sein. Also einem Konzern, der an den mörderischen Vorgängen im Gaza-Streifen mit zehntausenden ermordeten Zivilisten, toten Frauen und Kindern, entscheidend mitwirkt. Im März 2023 wurde am Schießplatz „Shivta“ in der Negev-Wüste eine „automatisierte“, also ferngesteuerte Rheinmetall-Radhaubitze des Typs L52 präsentiert, ein Gemeinschaftsprojekt von Rheinmetall und Elbit.
Die Haubitze, also ein sehr großes Geschütz, kann Sprenggeschoße mit rund 15 Zentimeter Durchmesser etwa 70 bis 80 Kilometer weit verschießen. Sie fährt nicht auf Panzerketten, sondern auf einem Untergestell mit Rädern (daher Radhaubitze im Gegensatz zur Panzerhaubitze). Die Haubitze selbst wird an einem Produktionsstandort in Deutschland hergestellt (Tochterkonzern Rheinmetall Landsysteme GmbH), es deutet jedoch einiges darauf hin, dass das fahrbare Untergestell aus dem Werk in Wien stammt. Die Radhaubitze L52 sitzt, liest man in der Fachliteratur, auf einem Fahrgestell des Schwerlastfahrzeugs „HX 10×10“, das von RMMV entwickelt und gebaut werde. Und zumindest in einer Pressemeldung vom Mai 2023, wo über den Kauf von mehr als tausend Rheinmetall-Fahrzeugen durch das österreichische Bundesheer berichtet wird, heißt es explizit, dass die Baureihe HX (ausschließlich) am Standort Wien hergestellt werde.
Bisher befanden sich in Radhaubitzen von Rheinmetall noch Menschen, die sie steuerten und die Schüsse abgaben. Der israelische Konzern Elbit Systems hat jedoch einen „vollautomatisierten Robotik-Artillerieturm“ zur unbemannten Fernsteuerung für diese Radhaubitze L52 entwickelt. Bei der Präsentation in Israel waren jedenfalls kaufwillige britische, deutsche, niederländische und ungarische Militäroffizielle anwesend.
Als am 21. Juni 2025 vor dem Rüstungsbetrieb in Wien-Liesing eine Kundgebung für Frieden und Neutralität und gegen Rüstungsexporte stattfand, wurde zufällig, durch den Firmenzaun blickend, eine Radhaubitze bemerkt. Ob es jene vom Test in der Negev-Wüste war, bleibt unklar. (Das Motto der Kundgebung lautete: „Gegen die Produktion von Kriegsgerät im neutralen Österreich! Gegen Hochrüstung und Kriegstreiberei! Für Frieden! Für Neutralität und einen starken Sozialstaat!“)
https://www.boersennews.de/markt/aktien/detail/de0007030009/
(Zeitraum auf „5 Jahre“ einstellen)
https://www.stimmenfuerneutralitaet.at/artikel
Sind Fahrgestelle aus Wien im Gaza-Krieg involviert?
Ob auch bei der israelischen Invasion in den Gaza-Streifen österreichische Fahrzeuge oder Fahrgestelle aus Wien-Liesing zum Einsatz kamen, ließ sich bisher nicht klären. Es gibt keine deutlichen Hinweise in diese Richtung, allerdings hat die deutsche Bundesregierung auch bei einer Bundestagsanfrage zu Rüstungsexporten nach Israel Detailinformationen abgelehnt. Die Kooperation von Rheinmetall mit Elbit Systems zur Entwicklung von fernsteuerbaren Radhaubitzen (mit Unterteil aus Wien) scheint eher für den Verkauf an die deutsche Bundeswehr und andere NATO-Staaten gedacht zu sein, soweit man aus Texten herauslesen kann.
Resumée
Es ist mit einer glaubwürdigen Neutralität völlig unvereinbar, wenn österreichische Rüstungsgüter auf globalen Kriegsschauplätzen das Ermorden von Menschen unterstützen. Ein kompletter Ausstieg Österreichs aus der Rüstungsindustrie wäre wohl die beste Lösung. In einer Zeit, wo globale Konzerne die heimischen Firmen geschluckt haben und ihre Tentakel weltweit in zahllose Produktionsstandorte ausstrecken, ist ein friedensorientierter staatspolitischer Einfluss auf diese Konzerne allerdings viel schwieriger als früher. Damals hielt der Staat Anteile an den großteils einheimischen Firmen und konnte die Firmenpolitik beeinflussen, heute ist dies schwieriger.
In einer Zeit, wo EU-Staaten gemeinsam mit dem Machtzentrum in Brüssel eine wahnwitzige Aufrüstung und geopolitische Eskalation anstreben, dreistellige Milliardenbeträge in Rüstungskonzerne stecken und gleichzeitig Sozialsysteme, Gesundheitsversorgung und andere Bereiche kaputtsparen, in einer solchen Zeit ist es dringend nötig, dass Österreich die Mitwirkung an dieser Selbstzerstörung verweigert und stattdessen auf Diplomatie, Frieden, Neutralität und Wohlstand setzt. Davon sind wir allerdings weit entfernt.
Gerhard Hertenberger
Freier Publizist, Wien
