Die Universitäten sind einer jener Orte, an denen in Europa Legitimität für den Völkermord an den Palästinenser:innen sowie für die Beteiligung daran hergestellt wird. Dies geschieht propagandistisch, durch die Art und Weise, wie der Diskurs geführt wird und welche Perspektiven an Universitäten Raum erhalten, ebenso wie durch Kooperationen mit israelischen Hochschulen im Rahmen von Forschungsprojekten und über gemeinsame Wissenschaftsnetzwerke. International regt sich dagegen an den Universitäten und in unterschiedlichen Disziplinen jedoch zunehmend Kritik.
Im Juni 2025 beschloss die International Sociology Association (ISA), die Mitgliedschaft Israels aufgrund seines Schweigens zum Völkermord in Gaza vorübergehend zu suspendieren. In ihrer Stellungnahme erklärte sie: „Wir bedauern, dass die Israelische Soziologische Gesellschaft keine klare Position zur Verurteilung der dramatischen Lage in Gaza bezogen hat. (…) Der Vorstand hat daher beschlossen, die kollektive Mitgliedschaft der Israelischen Soziologischen Gesellschaft (ISS) auszusetzen.“ (https://english.wafa.ps/Pages/Details/158877)
Die Österreichische Gesellschaft für Soziologie (ÖGS) reagierte auf diese Suspendierung Israels mit dem Austritt aus der ISA, ohne die eigenen Mitglieder zuvor zu konsultieren. Unmittelbar nach dieser Entscheidung des ÖGS-Vorstands, aus Solidarität mit Israel die Mitgliedschaft in der ISA niederzulegen, blieb es innerhalb der ÖGS weitgehend still.
Inzwischen liegt jedoch ein offener Brief von Nachwuchsforscher:innen vor, in dem kritisiert wird, dass die Auseinandersetzung mit dem Genozid in Palästina in der deutschsprachigen Soziologie kaum bis gar keinen Platz findet. Die Unterzeichnenden betonen, dass die Entscheidung der ÖGS, aus der ISA auszutreten, im Wesentlichen damit begründet, dass die ISA „zu politisch“ gehandelt hätte, selbst eine zutiefst politische Positionierung darstellt. Die Fortführung der Kooperationen und in der mangelnden Auseinandersetzung der ÖGS mit dem Völkermord führen so, unter Wissenschaftler:innen einer Disziplin, die für sich beansprucht, Machtverhältnisse kritisch zu analysieren, zur impliziten Unterstützung der bestehenden Machtverhältnisse und des Völkermords.
Die Studierenden fordern von der ÖGS:
- Anerkennung und klare Benennung des Völkermordes sowie der Menschen- und Völkerrechtsverletzungen an der palästinensischen Bevölkerung.
- Offenlegung des Entscheidungsprozesses zum Austritt aus der ISA sowie die Durchführung einer Mitgliederabstimmung über einen möglichen Wiedereintritt.
- Abdankung von Alexander Bogner aus dem Vorstand der ÖGS.
- Veröffentlichung einer Stellungnahme zu Repressionen und Einschüchterungen gegenüber palästinensischen und palästinasolidarischen Studierenden und Soziolog:innen an österreichischen Hochschulen.
- Aufbau finanzieller und wissenschaftlicher Förderprogramme für palästinensische Studierende und Forschende in Österreich.
Der Brief wurde bisher von über 80 Studierenden, Lehrenden und Forschenden verschiedener Universitäten unterzeichnet. Er ist ein wichtiger Schritt, um an den Universitäten Bewusstsein für die Rolle der Wissenschaft und Akademie in Bezug auf den Völkermord zu schaffen. Der Brief kann hier unterschrieben werden:
