Warum Rainer Nikowitz sich scheinbar freut, dass nach dem Waffenstillstand in Gaza niemand mehr hinschauen will, wenn Menschen in Gaza sterben, und warum er damit gründlich falsch liegt. Eine Antwort auf die Hass-Satire von Rainer Nikowitz: AMS für Gaza-Aktivisten? im Profil.

Rainer Nikowitz glaubt offenbar, in die Witzkiste gefallen zu sein. Er verhöhnt, in seiner Funktion als Profil-Journalist, nicht nur jene Menschen, die sich weltweit für ein Ende des Völkermords in Palästina einsetzen, sondern vor allem die Menschen in Gaza selbst.

In seinem Artikel „AMS für Aktivisten?“ fragt er, was die vielen Aktivist:innen nun, nach dem Waffenstillstand in Gaza, mit ihrer „gewonnenen Tagesfreizeit“ anfangen wollen.  Waffenstillstand hin oder her: Der Völkermord ist nicht vorbei. In Gaza gibt es weiterhin kein sauberes Trinkwasser, zu wenig Nahrung, keine intakten Wohnhäuser, kein funktionierendes Gesundheitssystem, keine Schulen und keine Universitäten. Die Grundversorgung ist zerstört. Die Mehrheit der Menschen hat Familie, Freund:innen und Bekannte unter den Trümmern der Bomben und im Feuer der israelischen Armee verloren. Und Palästinenser:innen, nicht nur in Gaza, sondern auch im Westjordanland, leben weiterhin unter Besatzung und Unterdrückung. Deren Beendigung und die Herstellung gleicher politischer, demokratischer und sozialer Rechte für alle wären jedoch die Voraussetzung für einen gerechten Frieden.

Warum also, fragen wir uns, meint Herr Nikowitz, dass Solidarität mit Palästina und Protest gegen Österreichs politische, ökonomische und militärische Unterstützung für Israel mit einem Waffenstillstand obsolet werden und Aktivist:innen nunmehr „arbeitslos“ seien? Er beweist mit seinem Artikel und dieser Einschätzung in erster Linie menschenverachtende Ignoranz und zeigt darüber hinaus, dass er, wie so viele etablierte Medienvertreter:innen in Österreich, ein mangelndes Demokratieverständnis hat.

Nikowitz sieht in den Protesten für Palästina und gegen die Komplizenschaft westlicher Staaten mit dem Völkermord vor allem ein Störelement der öffentlichen Ordnung. Ob Palästina-, Klima- oder Umweltbewegung – da ist er nicht zimperlich. Jede Form des Protests, jede kollektive Meinungsäußerung wird als „störend“ bezeichnet, als ein Versuch anderen „den eigenen Willen aufzuzwingen“. Mit diesem Argument versucht er, außerparlamentarische Bewegungen als undemokratisch zu framen.

Doch wenden wir dieses fehlgeleitete Argument einmal auf die etablierten Medien selbst an, also etwa auf das Profil.

Was die offiziellen Medien in Bezug auf Gaza und die Protestbewegung praktizieren, ist kein stilles Schweigen, sondern ein aktives VERschweigen. Sie haben die Zahlen jener, die in Österreich und anderswo in Solidarität mit Palästina und gegen die Komplizenschaft ihrer Regierungen demonstrieren, systematisch kleingeschrieben: Aus 20.000 Demonstrierenden in Wien Ende September wurden 3.000, aus 10.000 am 11. Oktober ein paar Hundert. Und wenn doch berichtet wurde, suchte man Worte, die den Protest delegitimierten sollten – etwa „Terrorunterstützende“, „Antisemit:innen“. Wenig überraschend bedient sich auch Nikowitz in seinem Text des Vorwurfs des Antisemitismus gegenüber jenen, die gegen den Völkermord aktiv werden. 

Zudem versucht Nikowitz Demonstrierende als „Nichtstuende“, die sich mit unnützem Firlefanz beschäftigten, um sich selbst zu inszenieren, zu charakterisieren. Das ist der Vorwurf, den er gegen jene Aktivist:innen ins Feld führt, die versuchten, im Rahmen der Global Sumud Flotilla, Hilfsgüter nach Gaza zu bringen. Der beiläufige Verweis auf das AMS für Aktivist:innen bedient dabei ein altbekanntes abwertendes Framing gegen Arbeitslose als „Nichtstuende“, als wären sie Menschen, die „nichts Sinnvolles tun“. Wir wissen, wie falsch und fatal dieses Argument sowohl gegen Arbeitslose, als auch gegen Demonstrierenden ist. Die subtile Message die Nikowitz scheinbar bei einer konservativ, rechten Leser:innenschaft anzubringen versucht ist: „Alle unnütze Menschen, die nichts zur Gesellschaft beitragen.“

Darüber hinaus wirft er den Aktivist:innen Unwissenheit und Dummheit vor. Ein „Nicht-Argument“, um den Protest und die Gründe des Protests zu delegitimisieren. Über Jahre hinweg haben die offiziellen Medien Informationen aus Gaza mit der Zuschreibung „das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium“ versehen und damit die Glaubwürdigkeit der Opferzahlen systematisch in Zweifel gezogen.

Dabei wissen wir aus Berechnungen von The Lancet, dass die Zahl der Ermordeten in Gaza um rund 40 % unterschätzt wird («The Lancet» zu Toten in Gaza: Um 40 Prozent zu niedrig berichtet – News – SRF). Das wird jedoch in österreichischen Medien nicht berichtet.

Die israelische Propaganda wird in den österreichischen Medien jedoch unhinterfragt übernommen. Jeder Angriff Israels wird als „Gegenwehr“ erzählt – von den Medien ebenso wie von der Politik. Auf Grundlage dieses Narrativs wurde etwa die Einstellung der Zahlungen an die UNRWA, die größte Hilfsorganisation in Gaza, legitimiert. Auch damit haben sich die österreichische Regierung und die österreichischen Medien am Hungermord an den Palästinenser:innen mitschuldig gemacht. „Aber Hamas“ – ein Satz, der viel zu oft genutzt wurde und wird um das Morden zu rechtfertigen und den legitimen Kampf der Palästinenser:innen für Selbstbestimmung und Frieden zu delegitimisieren.

Ich würde, im Gegenzug, den Medien ja sehr gerne Unwissenheit unterstellen, so wie Herr Nikowitz es bei uns Aktivist:innen tut. Doch Nikowitz und seine Kolleg:innen haben die Quellen, die sie brauchen, um die Wahrheit zu erkennen, um zu sehen, dass in Gaza ein Völkermord passiert und um zu verstehen, was Besatzung, Vertreibung und Unterdrückung bedeuten.
Er will diese Wahrheit nicht kennen. Und er will darüber nicht berichten.

Also frage ich: Wer versucht im öffentlichen Diskurs, seinen Willen aufzuzwingen? Jene, die eine kollektive Artikulationsform suchen, und solidarisch, gegen Unterdrückung, Völkermord und für soziale und demokratische Rechte auf die Straße gehen. Oder vielleicht doch die offiziellen österreichischen Medien, die ihre mediale Macht nutzen um Realität zu verzerren und Opposition mundtot zu machen?

Folgerichtig lacht sich Nikowitz nach dem Waffenstillstand nun ins Fäustchen und hofft, dass „jetzt … niemand mehr hinschauen“ wird, wenn Menschen gegen den Völkermord und für die Freiheit Palästinas demonstrieren.  Soll heißen: Jetzt dürfen die Menschen in Gaza weiter sterben, ohne dass es Journalist:innen wie Nikowitz noch der Mühe wert wäre, darüber zu schreiben.

Doch Nikowitz sieht nicht nur den Aktivismus als Problem. Auch Social Media ist ihm ein Dorn im Auge. Er hält sie für Plattformen der Selbstinszenierung. Doch angesichts des (Ver)Schweigend der Meiden werden diese Plattformen zu den wenigen Möglichkeiten in Europa, in denen Stimmen aus Gaza, aus der Diaspora und aus der Solidaritätsbewegung Gehör finden.
Wenn in Magazinen wie dem Profil nur Spott, Zynismus und Verhöhnung zu lesen sind, sind soziale Medien kein „Firlefanz“, sondern eine notwendige Gegenöffentlichkeit.

Und anders, als Nikowitz annimmt, hat sich weltweit tatsächlich etwas verändert: Nicht durch den Waffenstillstand, sondern durch die täglich sichtbaren Bilder des Grauens aus Gaza. Der Staat Israel und sein Handeln haben in breiten Teilen der Gesellschaft, auch hier in Österreich, an Legitimation verloren, selbst wenn die Regierenden und die offiziellen Medien weiter unbeirrt an ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung für den Völkermordstaat fest halten.

Vielleicht versucht Herr Nikowitz mit seinem „Witzartikel“ letztlich nur, die schwindende Glaubwürdigkeit seines eigenen Narrativs bzw. des Narrativs der offiziellen Medien, die er mitrepräsentiert zu kompensieren. Doch dieses Terrain, Herr Nikowitz, ist längst verloren.

Autorin: Irina Vana, 16.10.2025