Mit dem auch in den Medien veröffentlichten und kommentierten Urteil des Verfassungsgerichtshofes (ORF, Standard, Presse) vom 24.9.2025 mit der Geschäftszahl E 118/2025 wurde die Beschwerde gegen die Untersagung der Kundgebung vom 11.10.2023 am Stephansplatz abgewiesen. Damals war die Untersagung unmittelbar im Vorfeld bei einer eigenen Pressekonferenz mit der Begründung ausgesprochen worden, dass einer der Aufrufe für die „Mahnwache“ die Losung „Free palestine from the river to the sea“ enthalten hat, deshalb Ausschreitungen zu befürchten wären.
Das Landesverwaltungsgericht bestätigte dann die „Rechtmäßigkeit“ der Untersagung und die Revision blieb erfolglos!
Worum geht es dabei?
Das Landesverwaltungsgericht stützte sich lediglich auf eine Prognose. Diese kann bekanntlich richtig oder falsch sein. Die Schwierigkeit bei einer Prognose liegt darin, dass diese ein Blick in die Glaskugel ist (a priori). Die Ereignisse des 7. Oktobers 2023 waren „in zeitlicher Nähe“ zu Anmeldung (8. Oktober) und Versammlungszeitpunkt (11. Oktober).
Im Leitsatz/Rechtssatzvermerk im RIS (Rechtsdatenbank) findet man bereits auf einer Druckseite den Ausdruck „zeitliche Nähe“ exakt vier Mal (4x). Dem muss man zu Gute halten, dass damals alle „aus dem Häuschen“ waren. Die Behörde war überfordert und hat das gemacht, was sie am besten kann, nämlich „Nein“ zu sagen. Niemand hat zu dieser Zeit gewusst, was sich in Palästina/Israel abspielt und welche Folgen dies für Österreich haben wird.
Wie man dem Urteil des VfGH entnehmen kann, mit dem das Urteil des Landesverwaltungsgerichtes bestätigt wurde, hat der VfGH nicht die Versammlung direkt verboten oder für „rechtswidrig“ erklärt, er hat vielmehr dem Landesverwaltungsgericht und der belangten Behörde zuerkannt, dass diese zu diesem Zeitpunkt berechtigte Angst vor Ausschreitungen in Österreich hatten, eben aufgrund der zeitlichen Nähe (7. Oktober/8. Oktober/ 11. Oktober). Hier hatte die Versammlungsbehörde keine Ahnung, was die nähere Zukunft bringen wird. Genau deshalb hat der VfGH entschieden, dass auch dem Landesverwaltungsgericht kein Vorwurf gemacht werden kann, dass es nunmehr rückblickend (im Jahr 2025) hätte anders entscheiden müssen, da die damalig befürchtete Prognose als Entscheidungsgrundlage nicht eingetreten ist. Das sagt das Urteil des VfGH.
Nicht aber verteilt der VfGH, und das ist wichtig zu vermerken, dass die Parole „From the river to the sea“ rechtswidrig wäre. Es ist kein Urteil über die Rechtswidrigkeit oder ein Verbot der Parole. Der VfGH schreibt wörtlich: „Der VfGH muss hingegen nicht prüfen, ob die Verbreitung oder das Skandieren dieser Parole für sich genommen gegen Strafgesetze verstieße oder in bestimmtem Kontext verstoßen könnte.“
Das bedeutet für uns, dass diese Parole weiterhin verwendet werden darf. Hätte der VfGH Bedenken gehabt, hätte er das Versammlungsverbot auf diese Parole aufgehängt. Der VfGH hat nur wiederholt (4x wiederholt)gesagt, dass der zeitliche Zusammenhang die Untersagung rechtfertigen würde, da ex ante die Störung der öffentlichen Ordnung in großem Maße befürchtet werden konnte.
Auf Grund des Zeitablaufes und der mittlerweile zahlreichen friedlichen Demonstrationen kann die Behörde dann schlussfolgernd nicht mehr von einer „gefährlichen Prognose“ sprechen. Auch, dass die öffentliche Ordnung in Gefahr wäre, wie die Behörde damals befürchtete, hat sich in keinster Weise gezeigt.
Aufgrund obiger Tatsachen, muss man sagen, dass diese VfGH-Entscheidung NICHT als wegweisende, verallgemeinerungsfähige Entscheidung gelten kann, sondern nur eine Einzelentscheidung darstellt unter dem Lichte der zeitlichen Nähe der damaligen Ereignisse.
Dass der Ruf „From the river to the sea“ nicht strafbar ist, hat indessen die Staatsanwaltschaft wiederholt bekundet.
Mag. Walter Höller
