In den 1950-Jahren haben wir als Kinder auf unserem obersteirischen Bergbauernhof gelegentlich „Räuber und Gendarm“ gespielt. Es war lustig. Vor einigen Monaten wurde ich in ein weniger lustiges „Räuber und Gendarm“-Spiel hineingezogen. Der unsichtbar gebliebene Regisseur des Spiels saß im fernen Wien: Gerhard Karner, ehemals ÖVP-Bürgermeister der Mostviertler Gemeinde Texingtal 1, seit 2021 ÖVP-Bundesminister für Inneres.

Die Vorgeschichte

Im Mai 2025 hielt ich bei der Abschlusskundgebung einer Gaza-Solidaritätsdemonstration am Grazer Schloßbergplatz per Tonanlage eine Rede. An deren Ende sagte ich „From the river to the sea, Palestine will be free!“ und „Vom Fluß bis zum Meer, Palästina wird frei sein!“. Einige Wochen später wurde ich deshalb vom Steirischen „Landesamt für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung“ zur Vernehmung geladen. Der Tatverdacht: § 282a („Gutheißung terroristischer Straftaten“) und § 283 („Verhetzung“). Als ich den Vernehmungsraum betrat, war ich zunächst überrascht. Die beiden Staatschützer trugen schwarze Vollgesichtsmasken mit Augenschlitzen. Leicht amüsiert fragte ich sie, ob sie mir denn Angst machen wollen? – das werde nicht funktionieren …. . „Nein“, sagten sie, das diene ihrem Selbstschutz, „wir dürfen nicht wiedererkannt werden“. Ich hatte eine schriftliche Stellungnahme vorbereitet. Normalerweise rede ich ja nicht mit Menschen, die mir ihr Gesicht nicht zeigen wollen und wäre nach deren Übergabe ebenso normalerweise wieder gegangen. Aber jetzt war doch die Neugier stärker, ich wollte wissen, was sie wissen wollten. Meine Frage nach ihren Namen beantworteten sie mit der Bekanntgabe ihrer Dienstnummer. Über den Ton der Vernehmung kann ich mich nicht beklagen. Die beiden eher jüngeren Beamten führten sie in der Art eines sachlich normalen Gesprächs. Im Zusammenhang des Tatvorwurfs zielten die Fragen der etwa 75-minütigen Einvernahme a) auf meine Gesinnung (juridisch die sogennnate „subjektive Tatseite“) und b) wie und mit wem ich in meinen palästinasolidarischen Aktivitäten vernetzt bin.  

Einige Kostproben 2

  • Was ich von der Hamas halte? (Antwort: Eine auch religiös motivierte politische Bewegung.  Sie hat den Gaza-Streifen gut und ohne nennenswerte Korruption verwaltet. Vom palästinensischen Volk wird sie mehrheitlich als entschiedene und glaubwürdige Vertreterin  seiner Interessen anerkannt. Wohl auch deshalb hat sie 2006 bei den Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat die absolute Mehrheit bekommen. Eine Regierungsbildung wurde von Israel und den USA verhindert. Sie steht zudem in einem antikolonialen Befreiungskampf gegen die jahrzehntelange brutale Unterdrückung des palästinensischen Strebens nach Freiheit und Selbstbestimmung durch Israel. Wie auch andere Befreiungsbewegungen bedient sie sich unter anderem auch terroristischer Mittel. Das ist auch als Reaktion auf den permanenten israelischen Staatsterror zu verstehen).
  • Wie ich den Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 beurteile? (Antwort: Es war eine politisch-militärisch kalkulierte Reaktion auf geopolitische Entwicklungen und ihre bedrängte Lage. Die Hamas hatte Angst durch die US-Politik der „Abraham-Verträge“ auch Saudi-Arabien als letzte bedeutende Schutzmacht zu verlieren. Und sie sah durch die starken innenpolitischen Proteste in Israel auch die Chance auf einen großen politischen Durchbruch. Soweit dabei Zivilisten zu Tode kamen, waren das schwere Menschenrechtsverbrechen. Wir sollten uns hüten, diese Vorgänge aus unserer saturierten eurozentrischen Position mit allzuviel Moral zu beurteilen. Es geht darum, die Ursachen der endemischen Gewalt zu beseitigen. Israel könne seine Unterdrückung nur aufrechterhalten, weil es mächtige Komplizen hat, die USA, aber auch die EU, vor allem Deutschland und Österreich. Israel muss endlich seinen Würgegriff von der Gurgel des palästinensischen Volkes nehmen).  
  • Ob ich das Existenzrecht Israels bestreite? (Antwort: Ein Recht basiert auf einem Gesetz und ist bei einem Gericht einklagbar. Ein Existenzrecht eines Staates gibt es nicht. Das gab es auch beim Zerfall Jugoslawiens nicht. Das internationale Recht besteht aus Rechten von Menschen und Völkern. Staaten haben ein Selbstverteidigungsrecht. Die Existenz Israels ist eine politische Realität. Ich bezweifle, ob es in seiner zionistisch-ethnochauvinistischen, d.h.  apartheidförmigen und siedlerkolonialistischen Staatskonstruktion dauerhaft überleben wird. So gesehen verantwortet Israel seine Existenz selbst).
  • Ob ich diese oder jene Person kenne? Ob ich glaube, dass sie Islamisten seien, zu den Muslimbrüdern gehören, Hamas-Kontakte haben, etc.? (Die Bekanntschaft von einigen der genannten Personen konnte ich bejahen. „Ob sie zur Muslimbruderschaft gehören, weiß ich nicht, ich frag ja niemand, der zu unseren Kundgebungen kommt, ob das der Fall ist“.)
  • Ich hätte ja sicher nichts zu verbergen, ob ich einverstanden sei, dass sie mein Handy auslesen? (Antwort: Ich habe nichts zu verbergen, aber das geht mir deutlich zu weit!).

Was es zu lernen gilt!

Als im Jahr 1950 Geborener und seit den frühen 1980er-Jahren kontinuierlich friedenspolitisch aktiv, vermag ich das zu beurteilen: Die ganze Sache ist ein Indiz für die zunehmende Repression in der österreichischen Innenpolitik, vor allem im Bezug auf zionismuskritische Haltungen im Palästina-Konflikt. Ich war Mitte der 1980er-Jahre auch in gewaltfreie Widerstandsaktivitäten gegen den Ankauf und die Stationierung der Draken-Abfangjäger involviert. Auch damals wurden wir von der „Staatspolizei“ observiert. Einige unserer Staatsschützer kannten wir persönlich und hatten fallweise auch Gesprächskontakte. Die vermummte Spezies war uns damals aber unbekannt.  

Die Beamten haben der Staatsanwaltschaft Graz Bericht erstattet. Diese hat das Verfahren gegen mich inzwischen eingestellt. Und da dies bisher auch bei allen vergleichbaren „From the river, to the sea“-Fällen so war, wird das politische Motiv unserer Israel-Schutzmantel-Regierungen umso deutlicher sichtbar: Es geht um Einschüchterung. Die österreichische Palästina-Solidaritätsbewegung soll klein gemacht werden. Wenn man jung ist, noch studiert oder beruflich noch nicht abgesichert ist, kann einen so eine Einvernahme schon verunsichern und man bleibt dann weiteren Palästina-Solidaritätsaktivitäten fern. Eine junge Grazerin hat nach einer ähnlichen Verhörsituation mit vermummten Beamten genau so reagiert. Sie ist eingeschüchtert und irritiert. Gratulation, Herr Innenminister, in diesem Fall zeigte ihre autoritäre Pro-Israel-Politik Wirkung! Bleibt die Frage: Macht es Ihnen Spaß, Menschen einzuschüchtern?

Ein Sprichwort sagt: Wer in der Demokratie schläft, wird in einer Diktatur aufwachen! Auch in dieser Verantwortung ist es die Aufgabe der Plattform „Palästina Solidarität Österreich“, unermüdlich dafür zu arbeiten, dass eine möglichst große Zahl unserer Mitmenschen Karners politisch-autoritären Manöver durchschaut und ihnen Widerstand leistet!

Thal, am 25. Nov. 2025
Franz Sölkner, Steirische Friedensplattform, Palästina Solidarität Steiermark


  1. Texingtal war auch die Heimat des 1934 von den Nationalsozialisten ermordeten austrofaschistischen Diktators Engelbert Dollfuß. Bis 2022 war in seinem Geburtshaus ein Dollfuß-Museum eingerichtet. Am Haus ist eine Gedenktafel angebracht: „Geburtshaus des großen Bundeskanzlers und Erneuerers Österreichs Dr. Engelbert Dollfuß“. Ob Minister Karner in seiner Zeit als Bürgermeister an dieser Würdigung des autoritären Totengräbers der 1. Republik jemals Anstoß genommen hat ist mir nicht bekannt.
    ↩︎
  2. Dummerweise habe ich vergessen, mir nach der Einvernahme eine Niederschrift aushändigen zu lassen. Nachstehende Fragen und Antworten kann ich mit einem Abstand von fünf Monaten daher nur mehr paraphrasierend wiedergeben. Ich habe aber inzwischen bei der StA Graz Akteneinsicht beantragt.
    ↩︎